Welche Freiheit?


Die Dialektik des Liberalismus: Sicherheit oder Solidarität

von Volker Koehnen und ImJuni

 März 2016

Einleitung

 

"In the Arab world the most likely radicals are people in technical or scientific fields, who lack the kind of humanities education that foster critical thought."

Oussana Romdhani, Herausgeber der "Arab Weekly", Tunis.

"I can't build anything in this country. But the Islamic State gives us now the chance to create, to built bombs, to use technology!"

Nabil Selliti, Telecomunications-Engineer, Selbstmordattentäter, gestorben im Juli 2013, Irak.

 

Diese diffuse Angst vor dem eigenen Ding

 

Die Epoche in der wir heute leben, und die meist schlicht als "die Moderne" bezeichnet wird, ist gegenüber früheren, ständischen, feudalen Ordnungen vor allem dadurch charakterisiert, dass in ihr das Einzelsubjekt - das Individuum - eine mal mehr mal weniger exponierte, aber politisch immer signifikante Rolle spielt. Die unterschiedlichen Spielarten moderner Gesellschaftsordnungen, so wie wir diese heute kennen, werden nun wiederum durch die Art und Weise bestimmt, wie dieses Einzelsubjekt  sich in diesen auf den "großen Anderen" der gesellschaftlichen (früher ständischen) Ordnung bezieht, sich von diesem zwanghaft differenziert oder konstruktiv emanzipiert hat. Wenn man sich also heute um die eigene unter allen möglichen, modernen Ordnungen sorgt, dann gilt es zunächst einmal herauszuarbeiten, welche konkrete Form dieser Zwang zur Differenz oder der Möglichkeit zu selbstbewusster Emanzipation im Subjekt  in dieser eigenen, aber eventuell  auch in anderen, modernen Ordnungen je annimmt.

Seit den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, und spätestens nach Lenin, hat sich durch die sich globalisierende Herrschaft des Kapitalismus, aber auch durch den real existierenden Sozialismus stalinistischer und maoistischer Prägung, eine bestimmte ästhetische Form der Politik des Individuums, eine bestimmte Ideologie des Sich-Unterscheidens vom großen Anderen, durchgesetzt, die bis heute fast den ganzen Inhalt moderner Politik dominiert:  es ist die Politik des Wissens und der Information bzw. des Zwangs zum Wissen und zum konturierenden Informationsvorsprung, als die hegemoniale Form, moderner Macht. Eine Ideologie, die Hegel und Marx "Verdinglichung" nannten und die Horkheimer und Adorno schlicht als "Ideologie", als "bloßes Meinen", beschrieben.

Wissen und Information, das wusste die aufklärerische Bewegung noch aus feudalistischen Zeiten, waren historisch gesehen mächtige Werkzeuge emanzipatorisches Potenzial freizusetzen (Galileo, da Vinci, Humboldt). Und zwar gerade gegen eine über Jahrhunderte, ständisch strukturierte Macht des großen Anderen, also gegen Gott, Kaiser und Stand.

Aber bald schon wurde dieser ersten Bewegung der Aufklärung selbst bewusst - und dies noch lange vor den ersten bürgerlichen Revolutionen - dass die reine Aneignung von Wissen sowie der Informationsvorsprung an sich, dass also reine Objektivierungsprozesse nicht ausreichen, um sich auf Dauer von der Herrschaft des großen Anderen zu emanzipieren (Kant, Hegel, Marx).  Und sei es nur allein deshalb, weil Wissen und Information gerade dem "göttlichen", metaphysischen im Anderen, rein strukturlogisch, also rein teleologisch, nicht auf Dauer gewachsen sind[1].  Und der Preis den eine einseitige auf Objektivierungsprozesse setzende Ideologie der Verdinglichung im Namen der Emanzipation fordert ist langfristig, so hatte sich schon zu Kants Zeiten herausgestellt, enorm. Denn diese Ideologie der Verdinglichung birgt die Gefahr sich einem neuen, selbstproduzierten und quasi axiomatisch gesetzten, großen Anderen mit Haut und Haar zu unterwerfen. Dem großen Anderen der "zweiten Natur", oder eben dem was man heute allgemein als das "Objektive", das "Natürliche" bezeichnet.

Dass diese Gefahr real ist, und der Moderne quasi in die Wiege gelegt, das konnte man schon ganz früh an Wesen und Form des modernen Rechtsverständnisses ablesen. Dieses unterscheidet sich nämlich dadurch wesentlich von seinen Vorläufern, dem griechischen und dem römischen Recht, dass es sich eben nicht mehr einer von Tradition, Stand oder Religion überlieferten Axiomatik der Verteilungsgerechtigkeit und dem "jedem dass seine" unterwirft, sondern dadurch, dass das Recht der Moderne das Recht (oder eben die "Ermöglichung") des Natürlichen, also des Dings an-sich, ist[2]. Da der freie Eigenwille des Subjekts in der Moderne selbst als etwas „natürliches“ angesehen wird ist dieser Eigenwille des Subjekts, ist also das „Jedem das Eigene“ des bürgerlichen Subjekts, genau das was das moderne Recht erst hervorbringt und damit legalisiert. An diesem Punkt verknotet sich also die Macht über das Natürliche, das Wissen, mit dem Recht des Subjekts zur Selbstbestimmtheit von Natur aus, und setzt sich damit außerhalb dessen was ein modernes Rechtssystem sanktionieren kann und darf. Damit ist der Wille zum Wissen der ersten Bewegung der Aufklärung geboren, der bis heute die Moderne umtreibt[3].

Wer in der Moderne das "Ding-an-sich", das Objekt, also das was man das "natürliche" nennt und was dadurch "natürlich" Recht hat, wer dieses Ding sehr genau kennt, und über dieses das entsprechende Wissen besitzt, wer also gut informiert ist, der ist im modernen Rechtsverständnis immer schon automatisch im Recht. Sie weiß es: sie hat Recht.

Die Ideologie des Wissens und der Information, der Wille zum Wissen, ist damit integraler Bestandteil sowohl kapitalistischer wie auch hypermaterialistischer, real-kommunistischer, also ganz allgemein positivistisch geprägter Gesellschaften. Und damit ist die Ideologie der Verdinglichung und ihre Ethik, Wissen und Information, in allen modernen Gesellschaften, also in uns allen, heute die vorherrschende, hegemoniale Ethik unter uns modernen Gläubigen. Denn der Glaube an die objektivierbaren, natürlichen, quasi-biologischen Menschenrechte hat vielfach das metaphysische, früher überwiegend religiöse Glaubensbekenntnis abgelöst[4].

Nun wäre das Aussterben religiöser Glaubensbekenntnisse natürlich durchaus kein Verlust für eine wirklich emanzipierte Menschheit, wäre da nicht das große und immer größer werdende Problem, das Tag für Tag zu zunehmend hysterischen Ausbrüchen führt, dass immer mehr Menschen an dieser ihrer eigenen Ideologie, an ihrer ureigensten Ethik und Überzeugungen, an ihrem Glauben an dieses Wissen und diese Information, kläglich, jedoch gänzlich unbewusst, also verdrängt, scheitern. In etwa so wie die klassische Hysterie der Religiosität, "die Besessenheit", zumeist Ausdruck eines starken aber vehement verdrängten, essentiellen Zweifels und des drohenden Scheiterns am eigenen Glauben war und ist.

Dieses gänzlich unbewusste und verdrängte Scheitern des modernen Einzelsubjekts an seinem eigenen Wissens- und damit seinem eigenen Wahrheitsanspruch, dieses Scheitern ist es, das die heutige xenophobe und hysterische Rancune verursacht. Sie ist Grundlage einer diffusen Angst gegen jenes Verdrängte und damit gegen „dieses Unbestimmte“, die sich damit wieder einmal und vorhersehbar gegen "die Anderen", also gegen "die da drüben" oder "die da oben", also gegen eine klägliche, verballhornte Form des ehemaligen "großen Anderen", Gott und Kaiser, richtet. Das verdrängte Scheitern an den in der Tat unverschämten und unmenschlichen Forderungen der eigenen Ideologie der Verdinglichung, also den Forderungen einer Ideologie der objektiven und absoluten Wahrheit (Wissen), produziert eine ganze Reihe wesentlich neurotischer und narzisstischer, namentlich hysterischer Massenpathologien, mit denen wir es heute von ganz links bis ganz rechts, von Dehm und Elsässer bis Petry und Stoiber, zu tun bekommen.  

Wie genau funktioniert aber nun dieser Mechanismus der Angst, erschaffen aus Verdinglichungsideologie, dem eigenen Scheitern an ihr und dessen Verdrängung?

Da das von links bis rechts, oben bis unten, verehrte Recht des "Natürlichen", da die Ideologie des bloßen Meinens, ob nun esoterisches oder naturwissenschaftliches Wissen, für die Gemeinde der modernen Gläubigen die Ethik des "wahr" und "falsch", des "it from bit", des eindeutigen und objektiven hervorbringt (obwohl das zumindest in der Praxis der Naturwissenschaften und der Mathematik als Wissenschaft schon ein großes Missverständnis darstellt), und es nach Maßgabe dieses Glaubens immer schon irgendwo eine einfache "richtige" und ansonsten bloß viele falsche Antworten gibt, so müssen diesen Gläubigen, und heute diesem Volk, alle längeren Diskussionen bei denen man sich nicht sehr schnell auf ein eindeutiges Ergebnis einigt, alle abwägenden, reflektierten, vernünftigen und spekulativen, komplexen Argumentationen, und vor allem jegliche "Kompromisse", verdächtig vorkommen. Sie sind, so die "Meinung" der Gläubigen der Verdinglichung: "reine Ideologie".

Wer also lang und abwägend alle Seiten einer Argumentationskette betrachtet, wer überhaupt lange nachdenkt bevor er sich zu einer Aussage durchringt, wer nicht vorgibt alles schon zu wissen, und vor allem wer abstrakt denkt, der macht sich, "ist doch klar", heute extrem verdächtig. Er ist heute für die Gläubigen der Verdinglichung, für uns alle, mitsamt seinen Komplizen des umständlichen, abstrakten Denkens Teil einer Verschwörung, die ganz eigentlich die richtige Antwort immer schon kennt, diese aber aus höchst verdächtigen Gründen (Eigenintresse, Lobbyismus, Mossad, CIA) aber eben nicht herausrücken will[5].

Wer heute also nicht sofort mit erhobenem Plakat, Wort oder Waffe zu dem was offensichtlich "der Fall ist" auf die Straße rennt, steht schon im Verdacht es nicht nötig zu haben: einfach weil sie „wahrscheinlich etwas weiß“, also weil sie wohl etwas hat. Doch wenn dann das scheinbare Chaos durch das ganze unreflektierte, unabgewogene, unvernünftige, unkritische, unabstrakte und kompromisslose Herumgeschreie immer größer wird, dann ja dann fürchtet sich unser Individuum auf einmal vor dem spektakulären Ergebnis seines aufgestapelten Meinens, seines Wissens, und vor dem nun auf einmal eklatant evident werdenden Mangels an Sinn und Verständnis. Doch anstatt dem Kern der Verblendung selbstkritisch ins Auge zu sehen, wird diese diffus nach oben strömende Angst am "äußeren Feind" exorziert, und versucht sie und ihn, den Feind, mit den Waffen des natürlichen, eigentlichen So-seins, dem Recht des Natürlichen und vermeintlich Stärkeren, mit Wut und Affekt, zu schlagen. In diesen Momenten, in denen das Individuum der Verdinglichung es selber "nicht mehr weiß", wird es schließlich den Führer zu Rate ziehen, weil wenigstens der es wirklich "weiß" und endlich allen "Anderen" und dem Rest der Welt kurz, klar, eindeutig und verständlich, und vor allem ohne lange Diskussion und ganz sicher ohne Kompromisse erklärt was richtig und falsch ist. Und natürlich vor allem dass sie, die Andreren, (hier) falsch sind.

Die Krisen und Herausforderungen unserer aktuellen Lage verlangen nach Zeit. Zeit um intensive demokratische, politische und reflektierte Debatten zu führen. Das Problem aber ist, dass uns diese Zeit zum angemessenen Nachdenken über den Zustand der Situation heute offensichtlich nicht gegeben zu sein scheint. Die öffentlichen Diskurse, Reflektionen und (Re-)Aktionen erscheinen aufgrund der Raserei des beschädigten Subjekts und seines verdinglichten Denkens mehr als ein Spiegelbild des reißenden Stroms an immer neuen Dringlichkeiten und einer reinen Bildverarbeitung teilweise schockierender Ereignisse. Weder im traditionellen Politikbetrieb, noch in der redaktionellen, medialen Öffentlichkeit und schon gar nicht in den sozialen Netzwerken wird diese Zeit zum Nachdenken, und vor allem auch zum aussortieren, fokussieren und konzentrieren, benützt. Und dies gilt nun eben gerade auch für manche linke und rechten aktionistischen Bewegungen. Wo sich die einen als Befreier eines geknechteten Volkes - das jedoch selbst mehrheitlich eine ganz andere, verschobene Selbstwahrnehmung zu haben scheint - demoskopisch ("basisdemokratisch") anbiedern, verlieren sich die anderen in Hass- und Gewaltphantasien. Damit bleiben oftmals nicht nur einige der einst als aufklärerisch und modern propagierten Ideale auf der Strecke, mittelfristig kann damit auch das Projekt der Moderne an sich aufs Spiel gesetzt werden: Das Projekt der Emanzipation des gesellschaftlichen Subjekts. Ein Projekt, das ja gerade dadurch charakterisiert ist, dass eine vernunftbegabte Öffentlichkeit, zusammen mit dem einzelnen Individuum auf Augenhöhe diskursiv und ausgiebig, mit viel Zeit und Konzentration, um ihre Zukunft ringt. Gerade deswegen muss an solchen, heute aller Orten spürbaren, historischen Wendepunkten, die Frage und die Zeit genommen sein sich darüber im Klaren zu werden, was das genau war und ist, was da mittlerweile so gehasst, bekämpft und gerne medienwirksam, ganz bewusst oder gänzlich unbewusst, mit Füßen getreten wird. Was ist der Kern unseres gegenwärtigen Hasses, unser "Object a", auf den gesellschaftlichen Zustand der Situation? Auf das Gesetz des Vaters und den Fetisch der Mutter, an dem mittlerweile viele zu verzweifeln, einige zu scheitern drohen? Gesucht wird damit, auch um die politischen und zivilisatorischen Grundlagen besser zu verstehen, ein Epochenbegriff, der angemessen beschreibt, in welcher Vorstellung von Welt wir leben, und dessen Dominanz und Präsenz in unserer Wirklichkeit diese ganzen hysterischen Emotionen auf sich zieht. Hier gilt es also zunächst zu definieren, welche Dimensionen und unterschiedlichen Wirklichkeiten die gesuchte Epochenbezeichnung hat und hervorbringt. Und außerdem gilt es herauszuarbeiten welche Aspekte dieser Wirklichkeit es sind, die heute so gehasst werden. Zum einen geht es uns damit also um Deskriptivität, also um die Suche nach einem Begriff, der die Epoche angemessen beschreibt (das wäre der Aspekt der Form), und der als möglicher, wohl meist unreflektierter Grund für die herrschende Wut in Frage käme.  Zum anderen geht es um Normativität, also um die Parteinahme für den so heiß umkämpften Inhalt.  Und dieser lautet, das sei hier vorweggenommen, Freiheit. Aber welche Freiheit?

 

Die Ordnungen des Liberalismus

 

Die Hoffnung ist also ausgehend von solch einem Epochenbegriff, die aktuellen, hysterisch-narzisstischen Diskurse neu zu ordnen, und die damit einhergehenden Auseinandersetzungen, so die Hoffnung, anders zu führen und damit zu transformieren. Gleichsam von der objektiven Einordnung der aktuellen politischen Phänomene hin zu Hinweisen auf die strategische Bekämpfung reaktionärer Diskurs- und Politikmodelle. Der Begriff um den es uns hier geht, und der die Epoche seit Ende des Feudalismus und seit dem Beginn der Aufklärung dominiert, ist, wenig überraschend, der des Liberalismus– eine Epoche, in der wir uns historisch und zivilisatorisch seit über 350 Jahren, also ungefähr seit dem Frieden von Münster bis heute befinden. Seit damals geht es der Geistesbewegung des Liberalismus, erst auf Ebene der Reformation, dann auf der Ebene wissenschaftlicher und technologischer Errungenschaft und schließlich auf der Ebene der Ökonomie um das Subjekt und dessen Rolle in der Gesellschaft. Mithin also um das Subjekt der Freiheit und um die Freiheit des Subjekts. Aber wie gesagt, welche Freiheit? Und welches Subjekt?

Die Behauptung ist nun, dass sich entlang dieses liberalen Projekts der Emanzipation des Subjekts und seiner aller Wahrscheinlichkeit nach, notwendig unvollständigen Antwort auf die Frage "welche Freiheit?", die politischen Kämpfe unserer Epoche aufspannten und immer noch aufspannen. Es ist dieses Feld, auf dem – mal mehr, mal weniger, mal gar nicht dialektisch – politische Entwürfe ihren Sinn erhalten, ob im negativen oder positiven Bezug auf diese Freiheit, die eben immer auch, aber eben nicht nur, eine Freiheit des Einzelsubjekts ist.

Der Liberalismus wurde bisher meist als eine Geistesbewegung angesehen, die sich aus den unterschiedlichsten Geistesbewegungen der Aufklärung (Descarte, Hobbes), und ihrer Kritik (Kant), als eine spezifisch auf das Einzelsubjekt ausgerichtete, politische Bewegung entwickelt hat. Und der sich ja in der Tat historisch unter diesem Namen erst nach der französischen Revolution und vor allem erst unter der Herrschafft Napoleons, und durchaus in positivem Bezug auf diesen, als politische Bewegung etablierte (Benjamin Constant[6]). Ideengeschichtlich entwickelte sich der Liberalismus also entlang der Linien seiner politischen Theoretiker, Locke, Constant, Smith, Tocqueville, und in Reaktion auf aktuelle, politische Kämpfe. Ganz konkret: der Zäsur holländischer, amerikanischer und französischer Revolutionen, des jakobinischen Terrors und der Reaktion. Doch kann retrospektisch nun durchaus, die Frage gestellt werden, wie anders die politischen Entwicklungen und gesellschaftlichen Umwälzungen seit 1648 interpretiert werden können, als im Lichte von politischen Kräften deren Emanzipationsbedürfnis und deren politische Forderungen dem des politischen Liberalismus nach Thermidor sehr ähnlich sahen, und die schon Kant im kategorischen Imperativ auf einen moralphilosophischen, jedoch noch auf keinen politischen Nenner, gebracht hatte. Es ist die Frage nach der Stellung des Subjekts, das als solches erst im Zuge der Aufklärung und des Zeitalters erfolgreicher, bürgerlicher Revolutionen als wesentlicher Faktor des Menschseins, jenseits von Titel und Stand, entdeckt wurde. Und vor allem ist dies die Frage nach der Rolle des Subjekts im gesellschaftlichen und religiösen Leben. Die Entdeckung, oder die Behauptung, dass das Subjekt, sein Denken und Tun, in der Gesellschaft eine Rolle (vielleicht die Rolle) zu spielen hatte, mit dieser Entdeckung ging die Frage nach Freiheit (wie diffus diese auch immer gestellt wurde) wie selbstverständlich einher. Die Entdeckung des Subjekts gegenüber dem So-sein der von Gott und Kaiser gesetzten, ständischen Ordnung, war zugleich die Entdeckung der Freiheit in ihrer politischen Dimension. Die Frage welche Rolle zukünftig dieses neuentdeckte, potentiell freie Einzelsubjekt in der Gesellschaft spielen sollte, die Frage also in welcher Form und bis zu welchem Grade es sich gegenüber Gott, Natur und Stand (oder Staat) emanzipieren darf und soll, und in welchem Maße es sich unterordnen, oder eben gesellschaftliche, bürgerliche bis sozialistische, Verantwortung übernehmen sollte, also die Frage nach "welcher Freiheit?", diese Frage vereinigte und unterschied gleichzeitig schon Luther und Calvin, Rousseau und Montesquieu, Hegel und Locke, Marx und Tocqueville, Freud und Jung, aber auch Lenin und Mussolini.  

Kurz, die andauernde Epoche des Liberalismus ist eine umkämpfte und zutiefst dialektische. Ihre historische Entwicklung kann weder mit der ersten empirischen Erscheinung des Individuums in den politischen, sich selbst als "liberal" bezeichnenden, politischen Bewegungen, positiv festgemacht werden, noch können ihre mannigfaltigen, aus heutiger Sicht katastrophalen Folgen, von der Re-Installation der Sklavenhaltergesellschaft und dem Kolonialismus, bis zum Faschismus und Neoliberalismus und nicht zuletzt der dies alles dominierenden, kapitalistischen Wirtschaftsweise, dazu benutzt werden das Projekt des Liberalismus als un-emanzipatorisch und damit irrelevant für die Geschichte und den Kampf wirklich emanzipatorischer Bewegungen abzuhaken[7]. Im Gegenteil, die Geschichte der Emanzipation des Einzelsubjekts, des Individuums, muss als genau die Geschichte angesehen werden, die neben der französischen Revolution, der Pariser Kommune und 1918 eben auch Thermidor, die Reaktion nach 1848, und den Nationalsozialismus hervorgebracht hat. Welche Freiheit?

Im hegemonialen, politischen Diskurs von ganz rechts bis ganz links ereignet sich bis heute alles politisch sag- und denkbare unter genau diesem Sinnhorizont. Also unter der Fragestellung welche und wie viel Freiheit dem Einzelsubjekt in der (verfassten) Gesellschaft zusteht, aber vor allem auch mit wie viel Freiheit als Selbstverantwortung, oder des sich selbst überlassen seins, dieses Individuum konfrontiert ist. Damit ist diese Axiomatik, und also der Grundbegriff des Liberalismus, für keine politische Bewegung, die dem Einzelsubjekt und seiner Freiheit in der Gesellschaft irgendeinen Stellenwert einräumt, einfach hintergeh- oder überspringbar – der Liberalismus ist, und das wäre für subjekt-emanzipatorische Bewegungen das Maximale – jedoch transformierbar. Eine Transformation wäre geschichtlich aber nichts neues, ist es doch das hervorstechende Merkmal der liberalen Epoche sich gerade wegen ihrer mannigfaltigen, ideo-logischen Möglichkeiten bezüglich der Frage "welche Freiheit?" selbständig zu transformieren, zu verändern, zu reformieren oder auch zu revolutionieren. Die Entstehungsgeschichte der (erfolgreichen) Revolutionen ist ja selber ein, zwar seltenes aber doch wiederkehrendes ("revolting") Ereignis im Liberalismus. Jedoch nicht notwendig eines bei dem das Ergebnis immer im Sinne eines positiv identifizierbaren, moralisch und subjekt-emanzipatorisch eindeutigen Endzustands (Staat) der Freiheit ausfällt. Denn das würde voraussetzen, dass die Frage nach welcher und nach wie viel Freiheit das Einzelsubjekt gegenüber dem gesellschaftlichen Subjekt, also gegenüber allen anderen die diesem durch ihre Vorstellung von und durch ihr haben an Freiheit diese ja erst ermöglichen, wie viel das Individuum also gegenüber dem Anspruch „der anderen“ an gesellschaftlicher Freiheit haben darf und haben soll, dass diese Frage eindeutig zu beantworten wäre. Es ist jedoch genau diese Erkenntnis, dass diese Frage nach einer politischen Antwort auf den kategorischen, kantschen Imperativ, also die eindeutige Identifikation mit einer diesem Imperativ adäquaten Gesellschaftsordnung, dass diese eben gerade nicht positiv, also eben gerade nicht eindeutig, zu beantworten ist, und damit höchstens dialektisch, und also notwendig mit vielen Irrungen und Wirrungen behaftet, erklärt und erfochten werden muss. Genau diese Erkenntnis ist es, die in Zeiten politischer Instabilität zu den hysterischsten Reaktionen von rechts bis links führt. Es ist diese Lücke, die sich zwischen dem Bedürfnis nach Freiheit und ihrer offensichtlichen Abstraktizität und Virtualität, ihrer gänzlich metaphysischen und eben nicht positivistischen Qualität, auftut, die heute zu Frustration und Unsicherheit führt. Denn an einem Mangel an Wissen, an einem Mangel an gesicherter Information, können sich die Gläubigen der Verdinglichung nun einmal nicht festhalten.

Es ist nun aber genau dieser Aspekt einer grundsätzlichen Offenheit, einer Virtualität des Liberalismus gegenüber welcher Freiheit und welcher Emanzipation des Subjekts, es ist diese „Unmöglichkeit der Möglichkeit“ einer positiven, eigentlichen und ganz wahren Antwort, es ist genau dieses Scheitern der Moderne am Anspruch einer ihrer hegemonialsten Ideologien, der Grund dieser allgemeinen, aktuellen Erfahrung eines Mangels. Und dies ist schließlich auch der Grund der ganzen hysterischen Reaktion: "Sag mir was ich tun muss!": Populismus - "Sag mir nichts mehr!": Narzissmus. Aber gleichzeitig ist diese abstrakte, spekulative Offenheit auch der Grund warum wir Hoffnung haben dürfen. Denn sie ist bei Lichte betrachtet unsere einzige Chance darauf die mannigfaltigen Gefahren eines virulenten Faschismus (AfD) einerseits, sowie eines ökonomisch-ständischen, neo-feudalistischen Habitus andererseits (Steve Jobs), abzuwenden. Für emanzipatorische Entwürfe zu kämpfen heißt, vor diesem Hintergrund, also nicht etwas völlig neues „erfinden“ zu müssen, sondern einfach nur neu zu beginnen, in der Hoffnung, durch solche geschichtliche Wiederholung einmal den qualitativen „Sprung“ in das aus der eigenen, emanzipatorischen Sicht wirklich Neue zu erwischen (das natürlich trotzdem immer auch zugleich das Alte sein wird und muss). Voraussetzung wäre allerdings nicht in die Falle der Verdinglichung, des Positivismus, und damit in die Falle des Zynismus des Subjekts (der Ingenieurin), angesichts der sich vor ihr auftuenden Lücke, zu tappen. Vorrausetzung wäre dann, dass wir unseren jeweiligen, subjektiven Anteil an diesem emanzipatorischen Kampf offen legen, und in der Lage sind diesen im Kontext der Verhältnisse zu hinterfragen. Voraussetzung ist also abstrakte Durchdringung, Reflexion und  Selbstkritik. Diese bleiben die einzigen und wirksamsten Waffen gegen Zynismus und Reaktion.

Denn jeder emanzipatorische, kritische Neubeginnen wird sich zunächst damit auseinanderzusetzen haben worin denn die eigentlichen Gefahren aktueller Emanzipationsbewegungen, also aktueller „Protest“bewegungen und ihres Populismus bestehen. Gerade weil diese im Liberalismus nicht notwendigerweise auch wirklich emanzipatorische Lösung zu bieten haben. Sondern weil diese heute mehr denn je, zu Teilen, selbst das Problem sind. Hier wird man sich mit der starken Sehnsucht nach Unmittelbarkeit in einer „Welt-aus-den-Fugen“[8] ebenso zu beschäftigen haben, wie mit der Frage nach dem Wesen "gesellschaftlicher Freiheit"[9] als notwendiger dialektischer Partner bei der Emanzipation des Subjekts (auch von sich selber). Heute muss deswegen unbedingt das Phänomen des (gesellschaftlichen) Narzissmus kritisch untersucht werden. Ein Narzissmus dessen Hegemonie sich einer bestimmten, ideologisch radikalisierten Form des Liberalismus, des Libertarismus, verdankt.  Dessen heute dominanteste Bewegung ist die des Neoliberalismus (des ökonomischen Libertarismus). Und dieser ist aber natürlich selbst ohne die Emanzipation des Subjektes, also ohne einen gesellschaftlichen Begriff von individueller Freiheit, nicht zu denken.

Weder gesellschaftliche Freiheit (Rousseau) noch ökonomischer oder narzisstischer Hyperindividualismus, weder Ayn Rand noch Tea Party, wären ohne den Liberalismus, so jemals entstanden. Zwischen, innerhalb, und um diese Pflöcke herum, muss die Geschichte des Liberalismus angesiedelt werden: Freiheit für alle und ihre hysterische Negation, in ihrem Namen.

Für Hegel ist die bürgerliche Ordnung nun gerade dadurch charakterisiert, dass ihre Rechtsordnung und damit ihre Ethik aus der Summe der Ethiken der Einzelsubjekte, also der Individuen, besteht. Moderne Ordnungen sind damit gespalten in einen unsittlichen, gesellschaftlichen Teil der bloßen Einzel-„Moralitäten“ („bürgerliche Gesellschaft“) und einen sittlich-„gemeinsamen“, staatlichen Teil (freiheitlicher Rechtsstaat). Auch das bürgerliche Recht, das die bürgerliche Ordnung konstituiert, ist als modernes Recht damit von einem grundlegenden Widerspruch geprägt. Einerseits vom Recht des Einzelnen bestimmte "natürliche" Ansprüche stellen zu dürfen, und sich "entwickeln zu dürfen", also individuelle Selbstentfaltung als Naturrecht[10], andererseits dadurch, und immer zugleich, auch durch eine Entpolitisierung des Gemeinsamen bzw. einer Privatisierung des Politischen. Den auf diese Weise "natürlich" be-rechtigten, sich selbst entfaltenden Einzelsubjekten der unsittlichen Gesellschaft, dieser „bloßen Summe der Moralitäten“ und der "Meinungen" der Einzelsubjekte, steht nach Hegel gänzlich unvermittelt der Staat als "äußerer Staat" gegenüber, dem  die rein instrumentelle Funktion zugewiesen wird, die pure individuelle Unversehrtheit zu schützen. Umgekehrt gilt diesem „äußeren Staat“ die Gesellschaft als bloßes Objekt der Beherrschung. Das ist für Hegel genau der Sicherheits- und Kontrollstaat wie wir ihn heute kennen und den wir heute gerne unser eigen nennen. Damit konstatiert Hegel nichts anderes als eine notwendige Zerrissenheit der bürgerlichen Welt. Und genau diese gespaltene Variante liberaler, politischer (Rechts-)Philosophie nimmt Hegel in seiner Rechtsphilosophie zum Anlass an einer scharfen Kritik an der bürgerlichen Ordnung. Und zwar genau weil diese Ethik offensichtlich ausschließlich über reine individuelle Naturrechtskategorien vermittelt ist. Also über die Ideologie der Verdinglichung, und eben nicht über "Sittlichkeit". Denn "Sittlichkeit" als Begriff steht für Hegel für das dialektisch-kritische Gegenkonzept zur klassischen, positivistischen Aufklärungsethik. Also für jegliche Formen einer Ethik der Anerkennung, sei es durch Familie, Freunde oder eben auch Gesellschaft. Eine Anerkennung die individuelle Freiheit erst zu wirklicher in der Gesellschaft gelebter und institutionalisierter Freiheit machen kann. Die Anerkennung, dass meine Freiheit durch den anderen als solche anerkannt und verankert sein muss, bevor sie überhaupt zu wirklicher Freiheit werden kann. Und damit als ihre Voraussetzung auch die Anerkennung der Freiheit des anderen fordert. Die aber vor allem, in einem zweiten Schritt und um sich selber schließlich tatsächlich zu verwirklichen, um also „zu werden“, notwendig wiederum das zur Voraussetzung hat was Hegel „die Sittlichkeit“ nennt. Und diese ist die eben die wechselseitige Anerkennung des So-seins des Subjekts in der Gesellschaft. Dieser zweite Schritt, die Notwendigkeit von Sittlichkeit für die Verwirklichung von wirklicher Freiheit, die die Einzel-Moralitäten aufgehoben hat, dies ist nur ein anderer Begriff für "Solidarität"[11]. Der Begriff der Solidarität bezeichnet damit also eine „Verfaßtheit der Situation“ (Badiou) oder einen Zustand des „Geistes“ (Hegel), in dem das Einzelne mit dem Ganzen, das Individuum mit der Gesellschaft, die Politik mit der Ökonomie begrifflich und praktisch, konkret und allgemein, also „existierend“ (Hegel) vermittelt ist. Hegels Begriff für Solidarität ist „Selbstbewusstsein“ bzw. „Vernunft“.

Die bürgerliche Gesellschaft, die von der Ideologie von Wissen und Information und vom Recht des "objektiven", "natürlichen" dominiert ist, ist damit für Hegel zwar eine möglich Form des Liberalismus, aber eben eine gänzlich unvollständige, und vor allem ein potentiell reaktionäre. Sie resultiert schließlich und notwendig in einem äußerlichen Kontroll- und Sicherheitsstaat, in dem vor allem das Bedürfnis vorherrscht aus allen potentiellen Anerkennungskategorien Objekte zu machen. Objekte der Kontrolle und der Berechnung: Positivismus. Die bürgerliche Gesellschaft hat damit den entscheidenden Schritt zu einer wirklich dialektischen, reflektierten, nicht verdinglichten und nicht verdrängten, sondern abstrakt-bewussten Anerkennung der eigenen Freiheit durch und in der Sittlichkeit des andern also durch dessen Anerkennung, sie hat den Schritt in Richtung gesellschaftlicher Freiheit, in Richtung Solidarität, noch nicht gemacht. Nicht nur in dieser Erkenntnis sind Hegel alle marxistischen, und die wirklich sozialistischen Bewegungen gefolgt.

Der praktische und reale politische Effekt dieser wechselseitigen Nichtvermittlung, gleichsam ihr ideologischer Reflex, zeigt sich im Prinzip der Verdinglichung. Einerseits durch die von den libertären Einzelsubjekten „vollzogene“ Verdinglichung des Staates, die sich in der Aufforderung an den Staat beschränkt vor allem „Sicherheits- und Überwachungsstaat“ zu sein. Andererseits die Verdinglichung der (vielen) Einzelsubjekte zu einem Steuerungs- und Überwachungsobjekt als Bevölkerung durch den Staat.  Beide Seiten treffen sich in der traditionellen bürgerlichen Ordnung also vor allem im Sicherheitsdispositiv.

Den Liberalismus also einerseits als Grund für unsere heutige "Welt-aus-den-Fugen" und für den Hass auf alle Formen von Begrenztheit zu sehen, in ihm aber andererseits auch die einzige Möglichkeit zu gesellschaftlicher Freiheit zu erkennen, was wäre damit gewonnen?

Liberalismus als Grund

Die Erfindung des Subjekts und seiner Kritik

 

Der Liberalismus ist zuallererst ein Projekt mit dem Ziel das Einzelsubjekt (also das Individuum) auf Augenhöhe mit dem herrschenden, gesellschaftlichen Subjekt und seinen verdinglichten Objekten zu bringen. Im Zustand der Herrschaft des (statischen) gesellschaftlichen Subjekts als verdinglichtes, ständisches Objekt, haben sich die Partisanen des Liberalismus (Descartes, Hobbes, Locke, Smith) natürlich zunächst ganz auf das Einzelsubjekt selbst, quasi als empirisches Phänomen, gerichtet. In etwa so wie sich Teile der schwulen Bewegung irgendwann sehr erfolgreich darauf konzentriert haben vor allem heiraten zu wollen. Nach dem schließlich geglückten, paradigmatischen Wechsel, mit den Revolutionen von 1667, 1778 und 1789, kann das Einzelsubjekt seither, gesellschaftlich anerkannt, Kritik am gesellschaftlichen Subjekt, also an der symbolischen Ordnung - an Stand, Kirche, und Gesetz - vollziehen. Dieses Einbringen des Subjekts als Einzelnes, als Individuum in die politische Sphäre ist der eigentliche und einzig wirkliche, hegemonial erfolgreiche Kern der neuen Ordnung, die dem Feudalismus nachfolgte.

Um dieses zu bewerkstelligen, musste vor allem eine andere Grundlage - Axiomatik - für das bis dato herrschende Gesetz geschaffen werden. Anstatt der Sorge des Gesetzes nach einer zwar standesgemäßen, aber der gesellschaftlichen, ständischen Ordnung immer "angemessenen" Verteilung des Anteils eines Jeden an dieser Ordnung, hat die neue Epoche das Recht, das heißt den originären, axiomatischen, quasi "natürlichen" Anspruch des Einzelsubjekts, des Bürgers, auf bestimmte Rechte erschaffen. Genau dieser Paradigmenwechsel im Rechtsverständnis war einer der wichtigsten und schließlich hegemonial erfolgreichsten Mittel die teleologischen Voraussetzungen für alle nachfolgenden und damit "modern" gewordenen Gesetze zu erschaffen. Moderne Gesetze werden also heute immer je schon von den Rechten und damit vor allem von den Ansprüchen des Subjekts dominiert. Dieser Paradigmenwechsel löst die ständische Ordnung, also den dem Subjekt von Gott und Kaiser zugewiesenen Platz in der symbolischen Ordnung - dem Anteil der Jeder "gerechterweise" per Gesetz zusteht - ab und ersetzt diesen durch einen "natürlichen" Anspruch, also durch ein quasi-biologisches und deswegen gänzlich unpolitisches, Menschen-Recht des Einzelsubjekts. Dies ist der Primat des Rechts des Subjekts im Liberalismus gegenüber dem Primat einer normativen, äußeren - nach modernen Maßstäben "unnatürlichen" - Zuweisung eines standesgemäßen Anteils an der symbolischen Ordnung per Gesetz und damit qua "Verteilungsgerechtigkeit" im Feudalismus[12].  

Nichtsdestotrotz wurde mit diesem paradigmatischen Wechsel das Einzelsubjekt tatsächlich nachhaltig ins gesellschaftliche Spiel eingebracht. Und dieses neu geborene Einzelsubjekt hat erst durch besagte Änderung in der Rechtsanschauung - inspiriert von naturwissenschaftlicher und vor allem mathematischer Logik und Axiomatik - schließlich zu einer substantiellen Änderung des Normativen, also der gesellschaftlich hegemonialen Ethik der Rechte des Individuums, der Menschenrechte, geführt. Und damit wurde genau in diesem Sinne die Ordnung des Feudalismus beendigt. Eine Ordnung, die ja gerade durch die Abwesenheit des Individuums und damit auch der Abwesenheit des modernen biologischen Körpers als Mensch im Prozess der Konstitution gesellschaftlichen So-Seins, sowie durch die Alleinherrschaft des großen Anderen, Gott und Kaiser, charakterisiert ist.

Dass Kritik ausgehend vom Einzelsubjekt tatsächlich eine neue und schließlich hegemoniale, paradigmatische Figur in dieser neuen Ordnung ist, kann man daran ersehen, dass sämtliche innerhalb dieser neuen Ordnung entstandenen, ideologischen Strömungen die Kritik - also den Rechtstitel des Einzelsubjekts an der Verantwortung für das So-Sein der Welt[13] - auf die ein oder andere Weise für sich reklamiert und vielfach angewendet haben. Vom Wutbürger und AfDler im Netz mit seiner political-correctness Figur des "das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen" bis zum linken Anarchisten, für den die Kritik des gesellschaftlichen Subjekts ja gerade das Eigentliche ist (weswegen es für Anarchisten im Übrigen ja auch keine "erfolgreichen" Subjekt-Revolutionen geben darf - was von diesen jedoch gerne verdrängt wird).

Was auf der politischen und ideologischen Ebene nun den ganzen Unterschied ausmacht ist also nicht die Frage ob diese Kritik - dieser Rechtsanspruch des Subjekts an der Entstehung des Gesellschaftlichen -  ausgehend vom Subjekt stattfinden kann, sondern wie sie auszuführen ist. Also was für Voraussetzungen erfüllt sein müssen, dass subjektive Kritik ausgeführt werden kann, und in Bezug auf wen oder was. Politisch relevant ist also die inhaltliche aber auch die ausführungstechnische Qualität subjektiver Kritik, ihre Funktionalität, und vor allem auch ihre Beschränkung und Reglementierung. Und zwar gerade dort wo diese gefordert oder eben auch gegen das Individuum durchgesetzt werden. Denn aus dem Rechtsanspruch des Einzelsubjekts entstehen automatisch auch bestimmte Pflichten aller anderen Einzelsubjekte gegenüber diesem. Die Frage ist also zum Beispiel, ob es der subjektive (!) Anspruch dieser Kritik ist, quasi ihr axiomatischer Ausgangspunkt, das individuelle wie das gesellschaftliche So-Sein dialektisch zu umfassen, oder ob diese lieber von vorneherein einiges oder vieles, manchmal fast alles, per se als nicht relevant oder nicht kritikwürdig ausschließt. In genau dieser Qualität der Kritik, in ihren subjektiven und qualitativen Voraussetzungen und in der Art ihrer Durchführung unterscheiden sich nun alle modernen, liberalen Bewegungen untereinander: Anarchismus, Libertarismus, positivistisch-materialistischer Sozialismus und Faschismus, ökonomischer Libertarismus (Neoliberalismus) oder dialektischer Materialismus (demokratischer Sozialismus). Verkompliziert wird jener Zustand der Situation noch dadurch, dass der Sieg einer Ordnung über eine alte, in diesem Falle der Sieg des Liberalismus über den Feudalismus, auch immer einen signifikanten Rest an dieser alten Ordnung zurück lässt und diesen weder verdrängen noch "mitnehmen" kann. Darunter fallen heute alle politischen Bewegungen für die subjektive Kritik an der Ordnung, oder eben die Möglichkeit des Infragestellens einer herrschenden Ordnung durch das Individuum keine fundamentale Notwendigkeit für ein glückliches oder erfülltes Leben darstellt. Darunter fällt zum Beispiel jede Form des strukturellen Konservativismus und darunter fallen fast alle wirklich religiösen Bewegungen, insofern sie einen  Anspruch auf gesellschaftliche und individuelle Sinngebung haben (Siehe Abbildung).

Wenn man den paradigmatischen Wechsel von einer Herrschaft des gesellschaftlichen Subjekts und des großen Anderen, Gott und Kaiser, zu einem Zustand in dem das einzelne Subjekt genauso (wir kommen noch auf die Frage zurück wie "genauso") geschätzt wird wie der große Andere, wenn man diesen Wechsel genauer unter die Lupe nimmt muss konstatiert werden, dass die neue Ordnung gegenüber der alten vor allem durch dieses Inerscheinungtretens des Subjekts als politisch signifikante Figur, also als Faktor im Prozess gesellschaftlicher Objektivierungsprozesse charakterisiert ist.

Auch deswegen sollte man dieser neuen Ordnung einen Namen geben, der vor allem mit der historischen Hervorbringen des Subjekts, als signifikantem Faktor im gesellschaftspolitischen Prozess, in Verbindung steht. Und dies ist nun einmal der Liberalismus.

 

Welcher „Liberalismus“?

 

Was wären die Fallstricke solch einer Namensgebung, zum Beispiel gegenüber anderen bekannten Kandidaten, wie "Moderne", "Aufklärung", oder "Kapitalismus"? Und was wären die Vorteile?

Ein Problem einer solchen Wahl wäre sicherlich die Tatsache, dass unter "Liberalismus", sowohl geschichtlich wie aktuell - aus jedoch jeweils gänzlich unterschiedlichen Gründen - vor allem ein "Hyperindividualismus" subsumiert wird. Letzterer entstand historisch vor allem aus Bewegungen, die das Subjekt schlicht als zentrales Element des Bewusstseins anerkannt haben wollten (Constant, Tocqueville, Wilde), und die damit für dieses folgerichtig die Herrschaft über unsere Wirklichkeit reklamieren wollten. Das Subjekt sollte letztlich als entscheidendes, aufklärerisches und schließlich revolutionäres Steuerelement, als Tatsache, ins kollektive Bewusstsein gebracht werden. Und andererseits ist diese Ethik heute vor allem durch die Ökonomie des Hyperindividualismus repräsentiert, die eine Art ökonomischer Subjektdarwinismus darstellt, bei dem das Recht des Individuums alle anderen Rechte dominiert und beherrscht.

Nun ist aber einerseits die Figur eines klassischen, aufklärerischen, kartesischen, positivistischen und undialektischen (vorkantischen) Subjekts und seiner Rolle im Zentrum der Welt (Bewußtsein), wie wir bereits gesehen haben, vor allem der historischen Situation geschuldet, dass zu Zeiten Galileis, Hobbes und Lockes das Individuum als gesellschaftspolitischer Faktor schlicht nicht stattfand. Andererseits die heute sehr wohl stattfindende Hyperindividualität eben keinen Zusammenhang mit einem philosophischen, emanzipatorischen Projekt kennt, sondern einzig und allein dem Hegemonialwerden einer ganz spezifisch liberalen Ordnung in der neuen Ordnung geschuldet ist: des ökonomischen Libertarismus. Wir werden auf diesen und seine heutige, exponierte Stellung natürlich noch zurück kommen.

Man kann also sagen, dass der historische Liberalismus ein veritables, aufklärerisches Projekt war, und er aber in seiner philosophisch elaboriertesten Hochzeit einerseits, aus emanzipatorischen Gründen, einseitig (undialektisch) subjektorientiert, andererseits aber auch weit davon entfernt war als solches hegemonial zu sein. Gleichzeitig handelt es sich beim Hyperindividualismus der Gegenwart nicht um ein genuin aufklärerisches, emanzipatorische (kritisches) Erkenntnis-Projekt, sondern schlicht um das mittlerweile extrem hegemoniale bis totalitäre Projekt des Kapitalismus, also des ökonomischen Libertarismus und ganz allgemein der Ideologie des Positivismus (die den Stalinismus und Aspekte des Nationalsozialismus, also der alle Ideologien der "Machbarkeit" mit einschließt)[14]. Es macht also wenig Sinn Thomas Hobbes, John Locke und Adam Smith mit Ayn Rand und Friedrich Hayek in eine Linie zu stellen (was ja auch unschwer an Adam Smith großem Augenmerk auf sozial-politische Aspekte und seinen Zweifel am langfristigen Erfolg libertärer Ökonomie deutlich zum Ausdruck kommt).

Was wäre nun trotz allem damit gewonnen den Begriff "Liberalismus" als den Überbegriff für die neue symbolische Ordnung zu benützen, der Ordnung, die auf den Feudalismus folgte, und dieser eben nicht den Namen "Moderne", "Zeitalter der Aufklärung", "westliche Kultur", aber eben auch nicht "Kapitalismus" etc., zu geben?

Unserer Meinung nach wäre sowohl aus philosophisch-soziologischer als auch aus kapitalismus-kritischer Sicht einiges gewonnen. Denn der Liberalismus vereint unter sich sowohl bildungsbürgerliche, wie auch arbeitsethische, sowohl dialektisch vernünftige, wie technologisch-positivistische Werte: Professor Schmitt und  Jenny Treibel, den Bildungsbürger und den Bourgeois. Sie sind genau wie das Phänomen des säkularen Protestanten (ein klassischer Treppenwitz der bürgerlichen Geschichte) und des Arbeiters (als positivistische, sozialdarwinistische Materialität) ein Phänomen des Liberalismus, auch wenn sie sich gegenseitig aus Gründen durchaus (überhaupt) nicht leiden können. So wären aus dieser Sicht Marx und Weber (endlich) wirklich unter ein Dach gebracht.

Ein anderer Vorteil wäre das Phänomen dieses Bildungsbürgertums und seine spektakulär signifikante Rolle, die es bis heute für unsere Lebenswirklichkeit hatte und hat, endlich einmal nicht - und da kann man sich als Marxist auf den Kopf stellen - ausschließlich unter kapitalistische, hegemoniale Ordnungsherrschaft zu fassen. Denn die Pathologik des Bildungsbürgertums ist ganz eindeutig die des (protestantischen) schlechten Gewissens eines sich selbstverwirklichenden Subjekts gegenüber seinem gesellschaftlichen Anspruch und Bewusstsein und hat zunächst eher nichts mit dem Fetisch für den Profit des Kapitalisten zu tun. Umgekehrt kann der Kapitalismus historisch zunächst am besten im Bezug auf eine paradigmatische Änderung des wirtschaftens, sowie der technologischen und der rein empirischen Bevölkerungsentwicklung erklärt werden. Die Signifikanz des Bildungsbürgertums ist im gesellschaftlichen Zusammenhang also am besten mit Bezug auf die im Feudalismus vorherrschende Wirtschaftsweise, die Malthus'sche Ökonomie, zu erklären. Zu der sich langfristig allerdings noch eine besondere Qualität des liberalen, kapitalistischen Denkens hinzugesellt hat, auf die wir später zurückkommen, und die den Kapitalismus erst in die Lage versetzte, ohne seine Grundprinzipien des wirtschaftens gänzlich über Bord zu werfen, wirklich hegemonial zu werden. Der Kapitalismus wirkt damit heute tatsächlich wesentlich umfassender (alles durchdringend) als nur ökonomisch.  Während die Malthus'sche Form des allgemeinen Wirtschaftens nur einen relativ kleinen Aspekt des gesamtgesellschaftlichen Zustands der Situation, der herrschenden symbolischen Ordnung im System Gott und Kaiser, darstellte, forderte der Kapitalismus vom Liberalismus sehr schnell einen wesentlich höheren Anteil am gesellschaftlichen Leben ein (des bürgerlichen wie das der Arbeiterklasse). Beide konnten und können aber bis heute niemals nur ganz für sich als bestimmende Charakterisierung der Epoche gesehen werden. Immer bleibt ein mehr oder weniger großer Rest der konkreten, herrschenden, symbolischen, Ordnung, und auch der Überreste der alten, der weder mit Malthus'scher noch mit kapitalistischer Ökonomie hinreichend erklärt werden kann, sondern der nur durch andere, politische, soziologische, psychoanalytische, dialektische und allgemein philosophische Kriterien versteh- und analysierbar wird.

Genau deswegen erscheint es als großer Vorteil, wenn der Titel der neuen Epoche nicht gleich ist an einer ihrer, wenn auch zu einem bestimmten, historischen Zeitpunkt signifikanten bis hegemonialen, Teilaspekte. Sonst könnte man den Feudalismus auch genauso gut einfach nur als Standes- und Gottesherrschaft bezeichnen. Zwar waren letztere Formen der herrschenden, symbolischen Ordnung im Feudalismus überwiegend hegemonial, trotzdem ist andererseits der Feudalismus nicht ohne die Malthus'sche, empirisch dominante aber symbolisch relativ un-signifikante, Ökonomie denkbar und komplett.

 

Die Stellung der kapitalistischen Wirtschaftsweise im Liberalismus

 

Kapitalismuskritische, liberale Bewegungen haben, von extrem links bis extrem rechts, in der konkreten Geschichte des Liberalismus signifikante Spuren hinterlassen. Von den sozialistischen Bewegungen ab 1848, über die Bismarckschen Sozialgesetzgebungen, bis zu den faschistischen italienischen Partisanen des Tessins, dem Futurismus-Positivismus der Revolution von 1918, dem Antisemitismus des National-Sozialismus, bis zum real-existierenden Sozialismus und der sozialen Marktwirtschaft, sowie den massiven Erfolgen der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung in der Nachkriegszeit. Und schließlich auch heute mit den aktuellen, libertären, anarchistischen bis rechten und proto-faschistischen Bewegungen von Tea-Party bis AfD. Trotz, oder gerade wegen dieser zu Zeiten massiven, anti-kapitalistischen Widerstandsbewegungen hat sich der Kapitalismus schließlich in unserer Wirklichkeit voll durchgesetzt und ist erst heute (seit den 70er Jahren) in einem Maße gesellschaftlich hegemonial geworden, in dem er früher, gerade wegen seines offensichtlichen elitären, unkritischen und ökonomisch ausbeuterischen Charakters,  also wegen seines Klassencharakters, niemals werden konnte - und auch aus marxistischer Sicht nie zuvor je war. Heute, hat der Kapitalismus in den Gebieten seiner hegemonialen Herrschaft gelernt sich so "liberal" (politisch, ethisch, moralisch) und gesellschaftskonform wie nur möglich zu geben. Auch weil dadurch, also mit dieser Anbiederung an Professor Schmitt, sein Erfolg nur allumfassender werden konnte. Heute ist der Kapitalismus, so muss  konstatiert werden,  die liberale Keimzelle, die jedes einzelne Subjekt schließlich nachhaltig für seine Werte vereinnahmt hat. Und zwar, indem er Vernunft zu Wissen, emanzipierte Identität zu maximalem, individuellen, ökonomischen Erfolg, indem er also das Recht des Subjekts - seinen Anteil - vor allem auf das Recht für sich, und notfalls auch gegen alle anderen, umgedeutet hat. Indem er also, gegen das gesellschaftliche Subjekt, alle diese Begriffe auf seinen charakteristischen Fetisch reduziert hat profitabel zu sein. Dadurch hat der Kapitalismus in der Tat sehr zentrale, liberale Begriffe für seine eigenen Zwecke vereinnahmt und teilweise umgedeutet. Sein  Erfolg, der dem Kapitalismus innerhalb des Liberalismus (genau wie den Rechtsanspruch des Einzelsubjekts) mittlerweile die vorherrschende, hegemoniale popkulturelle Stellung zuschreibt, wird heute dadurch evident, dass kaum jemand mehr gewillt, noch in der Lage zu sein scheint, den Liberalismus vom Kapitalismus - sprich den Liberalismus vom Neoliberalismus - zu unterscheiden. (Und ganz bestimmt nicht die FDP.) Im gleichen Maße ist heute schließlich auch der Unterschied zwischen Ausbeutung und Selbstausbeutung Makulatur geworden. Trotzdem muss der Kapitalismus weiterhin als ein ökonomisch-libertärer Teilaspekt, aber eben auch als mögliche Konsequenz eines Liberalismus gesehen werden, der, aufgrund seiner strategischen Verschiebung des Rechtsgrunds, also der "Form des Rechts" (Menke) - seiner Axiomatik -, in einer Hyperindividualität Amok läuft, dem heute niemand mehr, kein Professor Schmitt und kein Lenin, Grenzen auferlegt[15].

Die heutige, hegemoniale Stellung des Kapitalismus ist vor allem darin begründet, dass ihm, neben seiner Verbindung des Libertarismus mit dem positivistischen Materialismus, eine Eigentümlichkeit eingeschrieben ist, die Marx nach 1848 als essentiell für das Verständnis und die Analyse des Kapitalismus erachtete, und die über die Jahre nicht zufällig die zweifelhaften "Lorbeeren" eines hegemonialen, politischen Endsiegs seiner Dogmatik über die konkurrierenden, liberalen Ideologien, einheimsen konnte. Der Grund für diese erlangte Hegemonialität ist ein gesellschaftlich subjektiviertes, und dann verdinglichtes Prinzip: der Fetisch für den Profit.

Warum ist der Fetisch für den Profit nun aber nicht nur ausgezeichnetes object a  unserer heutigen, modernen Gesellschaft, sondern auch der Grund für die ausgezeichnete, nunmehr hegemoniale Stellung des Kapitalismus, neben durchaus alternativer Möglichkeiten des Liberalismus (der Idee dem Einzelsubjekt neben (!) dem gesellschaftlichen einen, eventuell sogar dialektischen, Anteil und nur in dieser Beschränkung, also sein Recht, zukommen zu lassen)? Die ausgezeichnete Stellung des Kapitalismus, der sich des Fetisch des Einzelsubjekts für Profit bedient, liegt darin begründet, dass letzterer eine unmittelbare Konsequenz aus dem paradigmatischen Wechsel von Feudalismus ("gerechter", standesgemäßer Anteil) zum Liberalismus (Anspruch und Recht des Einzelsubjekts) darstellt. Denn natürlich ist ein individueller Profit als positive und positivistische Norm in einer "gerechten", ständischen Gesellschaft, in der der Anteil an den materiellen Gütern von "Außen", vom großen Anderen - Gott, Stand und Kaiser - gesetzt werden, nicht denkbar.

Umgekehrt ist das individuelle Vorteilnehmen, nicht nur gegenüber dem Staat oder dem Fürsten, sondern eben gegenüber allen anderen Miteinzelsubjekten nur möglich (geworden) wenn (weil) es so etwas wie einen individuellen Anspruch, einen individuellen Rechtstitel, Bürgerlichkeit, von den Menschenrechten bis zum Privat- und Zivilrecht, überhaupt gibt[16].

Damit begünstigte der paradigmatische Wechsel zur modernen Rechtsphilosophie - inspiriert von Naturwissenschaften und der modernen Mathematik -, und eingeführt durch den Liberalismus als kongeniale Maßnahme zur Emanzipation des Einzelsubjekts neben (!) dem gesellschaftlichen Subjekt, eben gleichzeitig auch alle libertären unter den liberalen Bewegungen. Also auch die libertäre Ökonomie, den Neoliberalismus. Trotzdem kann der Liberalismus nicht einzig auf diesen, strategisch und schließlich hegemonial entscheidenden Unterschied reduziert werden. Denn im Liberalismus spielen noch wesentlich mehr Aspekte des emanzipierten, mit dem Gesellschaftlichen dialektisch verflochtenen Subjekts eine wichtige Rolle: Bildung, Kritik der Aufklärung, dialektischer Materialismus, Psychoanalyse, kritische Theorie. Sie alle sind ohne eine Emanzipation des Einzelsubjekts im Kontext der symbolischen Ordnung nicht denkbar[17].


 

Eine kleine Systematik des Liberalismus

 

Der Liberalismus darf also nicht nur aus Sicht der bisher besonders in Augenschein und heute aktuellsten seiner Ideologien, Libertarismus und Kapitalismus, umfassend beschrieben werden und charakterisiert werden. Denn der Liberalismus kennt, möglicherweise zu unserem Glück, auch andere Möglichkeiten das Projekt der Emanzipation des Subjekts gegenüber einer rein ständischen Verfasstheit von Gesellschaft, Gott, Natur und Kaiser, mit aufklärerischen Idealen, jenseits eines vulgären Positivismus  zu verbinden.

Abbildung 1 zeigt, ausgehend von den bisherigen Überlegungen, eine Systematik des epochalen Übergangs vom Feudalismus zum Liberalismus und schlägt eine mögliche Unterteilung der neuen Epoche in ihre möglichen, unterschiedlichen Subjekt-, und Ideologiebewegungen vor.

Abbildung 1: Eine Systematik des Liberalismus

Damit könnte ein kleines „Lexikon“ liberaler Ideologien folgendermaßen aussehen:

Libertarismus. Hyperindividualisierung. Alle Gesetzgebung geht von den Individuen aus und darf weder von Parlament, Presse, Institutionen (Eliten!) vermittelt sein. Freiheit ist die Freiheit des Subjekts sich selbst und allen anderen alle Gesetze, gänzlich unvermittelt durch den großen Anderen und seine Institutionen, zu geben.

(Techno-)Anarchismus. Narzisstische Form der Hypersubjektivierung und der Ablehnung des großen Anderen und damit der symbolischen Ordnung (und also des Gesetzes) an sich. Freiheit ist die Freiheit des Individuum ohne den Anderen (was allerdings einen logischen Widerspruch darstellt). Der klassisch-narzisstische Anarchist fällt ebenso darunter wie die Silicon-Valley Hyperindividualismus Ikonen a la Steve Jobs und Peter Thiel.

Libertärer Ökonomismus/Neoliberalismus. Ist eine Form des eingeschränkten Libertarismus und des positivistischen Materialismus. Alle Gesetzgebung geht nur vom ökonomischen Subjekt und seines Profitstrebens aus. Deswegen kann auch nur letzteres im Kapitalismus frei sein. Freiheit ist damit immer nur die ökonomische, also materielle Freiheit des Subjekts Profit erwirtschaften zu dürfen. Der Neoliberalismus ist heute noch die hegemonialste Form innerhalb der Kategorie des Libertarismus wie des Liberalismus überhaupt, auch wenn Techno-Anarchismus und Wutbürgertum hier eindeutig aufholen.

Tea Party/Wutbürgertum/AfD: Der Wutbürger scheitert an seinem eigenen Anspruch „wissen“ (und nicht diskutieren, Kompromisse schließen, abwägen, etc.) zu wollen. Da er gerne „wissend“ wäre aber in mannigfaltiger Hinsicht, ökonomisch wie intellektuell, den Überblick und den Anschluss längst verloren hat, weiß er nicht "eigentlich" mehr was jetzt noch ganz eindeutig „wahr“ und „falsch“ sein könnte. Er verschiebt dieses Scheitern, und die daraus entstehende Angst, in der Wut auf Andere, auf „den Anderen“, und auf „die da oben“, und ruft folgerichtig nach einem (Führer) der ihm und uns (und vor allem „euch“) endlich sagt wie es „ist“!.

Wertekonservativismus. Er erkennt bestimmte Veränderung (empirisch korrekt) als potentielles Risiko, sowohl für das gesellschaftliche als auch für das Wohl des Einzelsubjekts. Welche Veränderungen als „gefährlich“ für deren Unversehrtheit angesehen werden hängt jedoch stark von dem jeweiligen „Wert“ ab der je in wertekonservativen Bewegungen gerade großgeschrieben wird, und deshalb entsprechend "bewahrt" werden muss. Der Wertekonservativismus ist ein Phänomen der modernen „Risikogesellschaft“ (Ulrich Beck).

Bionormativismus. Ist eine heute dominante Form des Wertekonservativismus, bei der die Natur den Platz Gottes eingenommen hat. Es gilt das „So-sein“ und die Unversehrtheit von „Natur“ an-sich zu bewahren. Biokonservativismus ist damit eine Form protestantischer Naturmystifizierung. Also eine oftmals neurotische, gerne auch esoterische Form von Naturverdinglichung.

Protestantismus. Der Protestantismus spielt für die Entstehung des Liberalismus eine kaum zu unterschätzende Rolle. Kern seiner Rolle im Spektrum des liberalen Wertekonservativismus ist Luther’s revolutionäres Program der „innerweltlichen Askese“. Also dem Verzicht auf Glück und Überfluss, Müßiggang und Glamour (irdischer Erfüllung), nicht nur hinter Klostermauern sondern ganz direkt, integriert in das alltägliche Leben eines Christen. Die Arbeit und der Glauben stellen dabei die einzigen anerkannten irdischen Tätigkeits- und Erfüllungskategorieen dar. Wie Max Weber umfassend dargestellt hat, hats den Kapitalismus gefreut[18].

Normativer Positivismus. Im Gegensatz zum klassischen Positivismus, der sich vor allem im Libertarismus auf Ebene des Individuums als „natürliches“ Prinzip entwickelt, ist hier die „normative Kraft des Faktischen“ schon ganz auf das Führerprinzip verschoben. Der Führer und die Einheitspartei der/die stellvertretend für das Einzelsubjekt denkt und direkt und unvermittelt entscheidet. Insofern ist normativer Positivismus das Endstadium der Wutbürgergesellschaft. Das „was der Fall ist“, das was nun mal eben ganz „wahr“, ist wird vom Populisten, Führer oder der Partei, stellvertretend für das Volk und ohne Umweg über abstrakte, politische, gar parlamentarische Prozesse, ausgesprochen und umgesetzt.

Faschismus/Nationalismus. In der Praxis des normativen Positivismus der nach Art einer autoritären Demokratie, also nach Art des Führerprinzips, regiert, richtet sich alle Gesetzgebung (Führergesetz) auf die Abgrenzung des gesellschaftlichen Subjekts (Nation, Volk) vom „anderen“ gesellschaftlichen Subjekt, also vom äußeren oder inneren, kollektiven Feind. Damit ergeben sich einfache „wahr“ und „falsch“ Antworten ganz wie natürlich. Die Einzelsubjekte sind in diesem Projekt im Führer oder der Nation aufgehoben. Freiheit des Einzelnen ist die Freiheit und der Schutz aller vor dem äußeren oder dem inneren Feind.

Stalinismus/Maoismus. Wie im Neoliberalismus geht hier alle Gesetzgebung vom ökonomischen Subjekt aus. Das ökonomische Einzelprojekt wird hier allerdings ganz in das ökonomisch-gesellschaftliche Gesamtprojekt, ähnlich wie beim Faschismus, eingebunden. Das gesellschaftliche Subjekt definiert sich gegenüber dem faschistischen Prinzip jedoch nicht am Führer sondern über eine (seine) bestimmte materielle Klasse die als Ganze die Gesellschaft bildet, und die damit auch nicht notwendig, wie im Faschismus oder Nationalismus über einen äußeren Feind abgesichert werden muss. Jedoch gegen den inneren, den Klassenfeind. Die Freiheit des Individuums ist hier beschränkt auf die Aufhebung aller materiellen Klassenunterschiede.

Dialektischer Materialismus. Alle Gesetzgebung geht von einer dialektischen Vermittlung zwischen dem einzelnen und dem gesellschaftlichen Subjekt aus. Wirklichkeit (Objektivierung) entsteht nur über eine wechselseitig Verbindung der Idee jedes einzelnen Individuums von Welt mit der aktuellen, herrschenden, gesellschaftlichen Auffassung. Jede Freiheit des Einzelnen bedeutet damit immer notwendigerweise auch die Anerkennung dieser Freiheit durch die Gesellschaft. Dialektischer Materialismus ist wesentlich antipositivistisch.

Demokratischer Sozialismus. Der demokratische Sozialismus verwirklich die Freiheit des Einzelsubjekts mit einer solidarischen („sittlichen“) gesellschaftlichen Ordnung, die auf der wechselseitigen Anerkennung der Freiheit der Anderen beruht.

Sozialdemokratie. Versucht die Freiheit des Individuums mit den aktuell zur Verfügung stehenden Möglichkeiten solidarischer („sittlicher“) Praktiken zu versöhnen. Die Sozialdemokratie ist der einzige, wie auch immer unvollkommene Versuch die Freiheit des Subjekts mit der gesellschaftlichen Freiheit im Hier und Jetzt zu versöhnen.

Bevor wir uns auf Basis dieser Systematik wieder den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zuwenden, nur noch einige Überlegungen zum Begriff der Moderne und der Aufklärung.

Moderne. Der Begriff der Moderne vereinigt unter sich einerseits viel mehr als nur die Teilaspekte "bürgerliche Ordnung" und "Kapitalismus". Andererseits ist die Moderne eben kein Ismus. Sie kennt also keine direkte ideologische Kampfgeschichte, weil sie eine "bloße" empirische wie soziologische Zusammenschau aller Einzelphänomene darstellt. Trotzdem wäre der Begriff "Moderne" noch dem des "Kapitalismus" als Epochenbegriff vorzuziehen, da er mehr Aspekte der symbolischen Ordnung umfasst als nur ökonomische (z. B. ästhetische und popkulturelle).

Aufklärung. Eigentlich steht die Aufklärung in ihrer Reinform schon seit Kant, also schon in vorrevolutionären Zeiten, in der Kritik. Die kantische Kritik der Aufklärung sollte natürlich gleichzeitig auch ihre/eine Neu- und Umdefinition sein. Trotzdem muss man konstatieren, dass auch nach Kant Aufklärung eher ein Regel- und Gesetzessystem darstellt. Also eher eine Logik, die in der Praxis Gesetze nach einer bestimmten vorgegebenen Prozedur zustande bringt. Ähnlich also zum Beispiel der Mathematik. Aber genau wie letztere niemals die ganze Physik ist, bildet auch der aufgeklärteste Untersuchungsprozess und Rechtsentscheid niemals die gesamte, gesellschaftliche Wirklichkeit ab.

 


Freiheit zwischen Individuum und Gesellschaft

 

Wenn die Menschen alle ihre Angelegenheiten nach einem festen Plan zu besorgen vermöchten, oder wenn das Glück ihnen immer günstig wäre, so würden sie in keinem Aberglauben befangen sein. Allein oft gerathen sie in Verlegenheiten, wo sie sich nicht zu rathen wissen, und meist verlangen sie nach den ungewissen Glücksgütern so maasslos, dass sie jämmerlich zwischen Furcht und Hoffnung hin und her schwanken, und ihre Seele deshalb Alles zu glauben bereit ist. In solchen Zweifeln genügen schwache Gründe um sie bald hier- bald dorthin schwanken zu lassen, und in höherem Maasse geschieht dies, wenn sie zwischen Angst und Hoffnung eingeklemmt sind, während sie sonst zuversichtlich, prahlerisch und aufgeblasen sind.

Baruch de Spinoza, Theologische Politische Abhandlung.

 

Libertarismus und Narzissmus

 

In der neoliberalen Hegemonie scheint sich heute ein geschichtlich neuer – und ebenso hegemonialer -Sozialcharakter herausgebildet bzw. vermehrt zu haben: der Narzisst. Wir sollten nicht in die Falle tappen und darunter lediglich eine überzogene Ich-Sucht oder Ellbogenmentalität oder puren Egoismus zu verstehen. Eine Narzisstin ist vielmehr eine Gesetzlose, die subjektive Freiheit missversteht als könne diese als ausschließliche und voraussetzungslose subjektive Freiheit existieren. Der Narzisst hat neurotische Angst vor jeglicher „fremden“ Begrenzung seines Eigenen. Auf politischer Ebene äußert sich dieser Narzissmus vor allem in der Aversion gegen den Staat, genauer: gegen „störende Eingriffe“ des Staates, der ihm als Inbegriff einer Grenze erscheint und die er deswegen nicht akzeptieren kann. So subjektivistisch und staatsfeindlich (damit letztlich auch: gesellschaftsfeindlich) dieses Freiheitsphantasma auch ist, ist es in seiner Struktur in die Gesellschaft eingebettet. Es gilt also der Gefahr zu widerstehen, bei der Kritik des Narzissmus diesen zu individualisieren bzw. ihn nur „dem Einzelnen“ zuzuschreiben; es ist wichtig, hier darauf hinzuweisen, dass es sich um einen gesellschaftlichen und geschichtlichen Narzissmus handelt, der sich in den narzisstischen Individuen materialisiert; eine Endlosschleifenpubertät, die nur in der realen und spezifischen geschichtlich-gesellschaftlichen Formation des Liberalismus erzeugt wird.

Narzisstische Strukturen können nur angemessen begriffen werden, wenn sie in ihrer spezifischen Position(ierung) gegenüber, erstens, einem bestimmten Begriff von Freiheit (nämlich hyperindividualistisch) und zweitens gegenüber Grenzen bzw. Begrenztheiten, respektive gegenüber dem, durch was diese Grenzen institutionell repräsentiert werden (z.B. Staat), markiert werden. Und bei genauerem Hinsehen sind beide Positionen dialektisch aufeinander bezogen: auf der einen eher logischen Ebene, weil ein Freiheitsbegriff nur vor dem Hintergrund von Nicht-Freiheit bzw. Abwesenheit von Freiheit (z. B. als Grenze) seinen Sinn erhält und auf der anderen, weil Grenzen allererst Formen von Freiheit – hier: Hyperindividualismus – erzeugen, gegen die sich der Hyperindividualist dann „anschließend“ wehrt. Wenn sich die kritisch-analytische Perspektive also auf diese Weise öffnet, dann geraten viel mehr aktuelle Phänomene in den Blick, als sie der herkömmliche Narzissmusbegriff abbilden kann. Wir schlagen daher vor, alle jene narzisstischen Phänomene, die sich verzweifelt gegen Begrenzungen (des jeweiligen Selbst) wehren und dabei mit einem uneingeschränkten, hyperindividualistischen Freiheitsbegriff operieren, als dem Libertarismus, oder schon dem normativen Positivismus als einer seiner wahrscheinlichsten Transformationsformen ,zugehörig zu bezeichnen.  Genauer, in einer historisch-dialektischen und kulturgeschichtlichen Perspektive des Liberalismus muss der so definierte Libertarismus einerseits als eine geschichtliche Zuspitzung oder Radikalisierung der liberalen Gründungsgeste und andererseits, aber paradoxerweise, als eine dialektische Wendung gegen diesen Liberalismus, als Reaktion auf die radikale Offenheit der Frage nach welcher Freiheit, im Liberalismus, als Illiberalismusim Namen des Liberalismus“ selbst, gedeutet werden.

Fast sieht es so aus, als komme die geschichtliche und andauernde Epoche des Liberalismus als „Fortschritt im Bewußtsein (oder eben in der Verleugnung) der Freiheit“ in ihrer neoliberalen (respektive: libertären) Form in eine liberale, geschichtliche „Wiederholungsschleife“ („Alles auf Anfang!“), in der die sozialistisch-dialektische Stufe dieser liberalen Epoche – nämlich die Stufe der Vermittlung von individueller und geschichtlicher Freiheit - einfach rückwärts und abwärts in Richtung des normativen Positivismus, des Führerprinzips, oder autoritärer Demokratien wie Russland und China, übersprungen wird – also einfach zurückgedreht werden soll. Diese Verleugnung  des dialektischen Zusammenhangs zwischen individueller und gesellschaftlicher Freiheit ist der Hintergrund für das Unvermögen des Libertarismus und seines Narzissmus, sich einen gehaltvollen Begriff von Gesellschaft(lichkeit), Staat(lichkeit) und damit von gehaltvoller Freiheit zu machen, und umgekehrt für den neurotischen Zwang, sich nur das solipsistische Individuum (Steve Jobs!) als „Beweger der Geschichte“ herbeizuphantasieren. Solcherlei politische Kämpfe und Entwicklungen oder Hegemonien in und um (verschiedene Begriffe von) Freiheit sind aber nun kein Geschichtsunfall oder etwas pathogenes – sie ergeben sich vielmehr aus der Anlage und Struktur des Liberalismus selbst: da er die begriffliche und objektive Vermittlung der Subjekte im Gesetz zum maßgeblichen Inhalt hat und es also kein metaphysisches, unumstößliches „Außen“ mehr gibt, das uns eine metaphysische eindeutige Antwort auf die Frage was wahr und richtig ist, zur Verfügung stellt. Damit ist es seit über 350 Jahren der Normalfall, dass um eben jene Frage welche Freiheit, und damit welche Vermittlung zwischen individuellem und gesellschaftlichem So-seins gestritten wird oder genereller: dass Kritik geübt wird.

 

Sicherheit oder Solidarität?

 

Wie wir bereits gesehen haben ist der Ursprung des bisher beschriebenen, liberalen Bewegungsgesetzes von der geschichtlich neuen und unerhörten, ja skandalösen, Erfindung des Individuums und seiner Freiheit quasi axiomatisch bestimmt. Sodann ist es vom damit logisch sofort auftretenden Widerspruch zwischen der Freiheit des (einen) Individuums und der Freiheit auch aller anderen Individuen ("Du bist frei! Dummerweise sind es alle anderen auch!") gekennzeichnet. Wie, so könnte man fragen, konnte eine so mächtige und bis heute wirkende geistesgeschichtlich-gesellschaftliche Revolution entstehen? Wie kam der Liberalismus eigentlich auf das Individuum?

Der liberale Begriff des Individuums war ein kritischer, negatorischer Begriff, der gegen die vorhandene Obrigkeit, den feudalen, absolutistischen Staat gerichtet war (siehe Abbildung). Im Moment seiner geschichtlichen Entstehung, der von einer radikalen Negation der „feudalen Begrenzung“ in jeder Hinsicht (ökonomisch, politisch,…) geprägt war, nimmt der Liberalismus zugleich sein weiteres Schicksal vorweg: die Konstitution einer Dialektik - damals zwischen feudalistischem Staat und den liberalen Individuum, fortan zwischen Individuum und Gesellschaft - deren Urgeste bereits eine Form der Dialektik beinhaltet. Man könnte sagen, dass die „Urverdrängung“ eines Begrenztseins im Liberalismus bereits im Punkt seiner geschichtlichen Entstehung, in der Frontstellung zum Feudalismus angelegt ist, und uns bis heute z. B. in Formen narzisstischer oder neoliberaler Verdrängung weiterhin kritisch beschäftigt. Die Geschichte wird im Liberalismus seither bewegt und in Gang gehalten durch verschiedenartige und mannigfaltige Lösungsversuche dieses Widerspruchs zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen der Freiheit des einen und derjenigen der anderen: von der hyperindividualistischen Variante (die paradoxerweise die Freiheit der anderen verleugnet) bis zur normativ positivistischen Variante (die Freiheit des Individuums wird im Effekt verleugnet zugunsten eines "freien" Kollektivs in Form von Nation, Führer oder Gottesstaat). Immer steht die mal ganz reaktionäre, mal weniger oder manchmal gar nicht reaktionäre Vermittlung der Individuen zu einer Gesellschaft in Frage. Diese Bewegung des Liberalismus könnte man auch als "Gesetzessuche" bezeichnen, insoweit alle gesellschaftlichen Vermittlungen von Individuen über das Gesetz operieren müssen. Politökonomisch und materialistisch hinzugefügt: der ökonomisch von Anfang an determinierende und hegemoniale Kapitalismus in der Epoche des Liberalismus muss gesehen werden als "Entscheidung" für das asoziale, freie Hyperindividuum (Konkurrenz, Wettbewerb, Glückes Schmied, usw.); und sein Effekt ist seit 350 Jahren das reale Auseinandertreiben der Individuen und zugleich der politisch-ideologischen Versuche, sie irgendwie beieinander zu halten: und zwar in Begriffen von "Sicherheit" oder "Solidarität". Diese Versuche können aber nun unwiderruflich nur aus dem liberalen Sinnhorizont schöpfen und das ist - neben der ständigen Aufgabe, zusammen halten zu müssen, was auseinander driftet - der Grund für den liberalen Wiederholungszwang.

Wir können vor diesem Hintergrund also die spezifisch liberale Lücke benennen, die Grund für seine geschichtliche Bewegung ist. Sie besteht im objektiven Zwang, die ontologisch-essentialistische Leere zwischen den Individuen (die sich inmitten der Einzelindividuen reproduziert) mit einem abstrakten Gesetz konkret füllen zu müssen. Dieses Gesetz ist jeweils immer in dem Maße notwendig, wie die Individuen frei sind. Und Versuche seiner Institutionalisierung und dann seiner Verdrängung im Namen der „natürlichen“, „objektiven“ Freiheit des libertären Einzelsubjekts, münden in die beschriebene geschichtliche Dialektik. Vielleicht ist es nicht überzogen, in der von Adorno und Horkheimer unübertroffen formulierten „Dialektik der Aufklärung“ jenen liberalen Bewegungsmechanismus der Geschichte zu entdecken, der notwendig zugleich Fortschritt und Rückschritt, Zivilität und Barbarei in sich aufbewahrt; stets angetrieben vom Zwang zur Wiederholung der liberalen Gründungsgeste des revolutionären Aufbegehrens gegen die (damals feudalistische) Grenze. Doch was ist das Innerste dieser Dialektik der Aufklärung oder des Liberalismus; worin besteht jene stete Gefahr zum Rückschritt, zum Abdriften in die autoritäre Demokratie?

Sie ist in der liberalen Neigung zu sehen, eine zum individualistischen Libertarismus überzogene individuelle Freiheit durch Sicherheit zu lösen – und dies durch die „Verschmelzung“ von Liberalismus und Kapitalismus, genauer: durch die positivistische Realisierung des Liberalismus. Um auf Adorno/Horkheimer zurückzukommen: der der Aufklärung, dem Liberalismus innewohnende Rationalitätstypus sei die „Einheit von formaler und instrumenteller Vernunft“ in Form von Naturbeherrschung, die auf Selbsterhaltung und Herrschaft bzw. Beherrschung zielt. Die einstige Beherrschung naturwüchsiger Gefahren durch den Mythos schlägt um in die Herrschaft über objektivierte innere und äußere Natur über die instrumentelle Vernunft. Genau hierin drückt sich der Zusammenhang der Verdinglichung aus. Und in der Argumentation dieses Textes ist darin das liberale Sicherheitsdispositiv als jene instrumentelle Herrschaft zu bezeichnen, in der verdinglicht-entfremdete Naturbeherrschung Teil ihrer Verfasstheit, ihrer Ordnung, ihrer Institutionalisierung ist. Man könnte also durchaus sagen, dass Adorno/Horkheimer die Vorgeschichte und Aktualität des Liberalismus geschrieben haben. Und so wie beide als Ausweg aus der „total verwalteten Welt“ die Selbstbesinnung und Kritik der Aufklärung fordern, muss sich auch der Liberalismus über sich selbst kritisch aufklären. Denn in einem anhaltenden Zustand des unaufgeklärten, blinden Bewusstseins der Verdinglichung ist der Grund zu sehen, warum im Liberalismus die Sicherheit als Alternative zur Freiheit einen quasi  "natürlichen" Vorrang gegenüber der "Sittlichkeit", also Solidarität genießt und warum deswegen linke, emanzipatorische Solidaritätsentwürfe strukturell unterlegen sind: Sicherheit ist nicht nur abstrakt und dialektisch mit Freiheit als potentielle Unsicherheit/Chaos verbunden, sondern sie kann als Forderung und Alternative nur in konkreten verdinglichten Gesellschaftsverhältnissen entstehen, die wiederum Resultat einer Matrix von individualistischer Freiheit ohne „Sittlichkeit“ darstellt.

In der liberalen Urgeste der Befreiung, also der individuellen Freiheit, könnte durchaus die von Freud und Lacan beschriebene geschichtliche Urszene des Ödipuskomplexes gesehen werden. Denn individuelle Freiheit war geschichtlich, wie oben beschrieben, die Bewegung der Ent-Setzung als Befreiung oder Herauslösung (aus der ständischen, feudalen Gesellschaft). Ist hierin nicht das Freud’sche Motiv der Urverdrängung zu sehen, die sich durch die Einwirkung des symbolischen Vaters als Gesetz in der Auflösung der primär-narzisstischen Symbiose des Kindes mit der Mutter und der Herauslösung des Kindes aus dieser vollzieht und fortan bei Nichtbewältigung des Konflikts als Zwangsneurose wiederkehrt? Und müssen nicht die aktuellen Handlungen von Rechtspopulismus bis Dschihadismus als zwangsneurotisch in dem Sinne begriffen werden, als sie starke normativ positivistische Züge, die sich hinter einen religiöse Mantel verstecken, aufweisen? Volk und Nation oder Gott und Scharia als Vaterersatz? Also als verdrängte Angst vor der eigenen radikalen, narzisstischen Freiheitsbehauptung? Die Lösung der vielfältigen, libertär verursachten aktuellen Krisen im Modus des Sicherheitsdispositivs wäre dann ein Modus des unbewältigten Ödipuskonfliktes; als unerlöster neuerlicher Setzungs- und Ordnungsversuch der desintegrierten Gesellschaft im Register des Autoritären oder autoritärer Freiheit. Während Versuche, das liberale Dilemma der Freiheit in der geschichtlich aktuellen Form des gesellschaftszersetzenden Libertarismus autoritär zu lösen, zumeist in der Geste kulturpessimistisch-konservativer Klage oder Anklage gegen den großen Anderen agieren, üben Versuche im Register der Solidarität Kritik. Die Klage als Beschwerde zeigt das ganze Verhaftetsein rechtspopulistischer, konservativer oder dschihadistischer Provenienz im Hier und Jetzt bzw. in der Beschwörung eines vermeintlich verlorenen Paradieses der Vergangenheit und hat letztendlich die Affirmation des Gegebenen als Effekt. Emanzipatorisch-solidarische Kritik hingegen stellt erstens solcherlei Klage in Frage und will zweitens die aktuellen Verhältnisse verflüssigen - mit dem Ziel sie in die Zukunft zu transformieren. Man könnte auch sagen, die rechtspopulistische Klage (statt Kritik) hat noch einen letzten Rest „Rechtsstaatlichkeit“ in den Knochen, indem sie als selbsternannter Staatsanwalt Anklage erhebt (und den Terror in Kauf nimmt), während dem Dschihadismus durch die Einheit von Anklage, Urteil und Vollstreckung als Todesstrafe auch noch jeder letzte rechtsstaatliche Rest ausgetrieben ist.

 

Wir können an dieser Stelle – auf dem Hintergrund des oben beschriebenen Widerspruchs, der die liberale Freiheit entweder konservativ oder emanzipatorisch aufspannt - eine weitere Typologisierung vornehmen, dieses Mal der drei Freiheitsbegriffe im Liberalismus: individualistische Freiheit (Libertarismus), autoritäre Freiheit (normativer Positivismus) oder gesellschaftliche Freiheit (demokratischer Sozialismus). Ausgangspunkt aller drei, der die geschichtliche Dialektik in Gang setzt, ist jedoch der im hegelianischen Sinne zunächst nur abstrakte liberale Begriff der individuellen Freiheit. Eine Ahnung von jener buchstäblich entfesselnden Sprengkraft, die dem Begriff der liberalen Freiheit konstitutiv innewohnt, erhält, wer sie bis zu ihren geschichtlichen Anfängen gegenüber dem absolutistischen Staat zurückverfolgt oder, allgemeiner, der sie (zunächst) ohne Gesetz hypostasiert und real umsetzt bzw. konkretisiert, wie paradigmatisch auf dem kapitalistischen Markt (geschichtlich z.B. im Manchesterkapitalismus oder aktuell in der neoliberalen Hegemonie) – dann wird individualistischen Freiheit zur gesellschaftlichen Desintegration, zu libertären und anarchistischen Politikansätzen. Diese Spaltung provoziert notwendig setzende, institutionalisierende und integrierende Politiken, die ihr dann entweder im konservativ-faschistoiden Modus einen autoritären Freiheitsbegriff (Sicherheit!) entgegensetzt (konservative Revolutionen, rechtspopulistische Nation, identitäres Volk oder realsozialistische Systeme wie die DDR, Russland, oder China), in deren letzter Konsequenz die Freiheit nur in der ökonomischen Freiheit des Kapitals fortbesteht oder aber gänzlich aufgelöst wird; oder aber gesellschaftliche Freiheit, die das Gesetz der wechselseitigen Solidarität unter den Individuen etabliert und damit den Begriff individueller Freiheit erst zur vollen Geltung bringt. Diese durchaus antagonistischen Kämpfe unter den verschiedenen Freiheitsbegriffen im Liberalismus setzen den genannten Wiederholungszwang in Gang. Sehen wir ihn uns genauer an. Bei Freud (u.a. in: „Jenseits des Lustprinzips“) ist Wiederholungszwang der unbewußte und paradoxe Drang, Schmerzhaftes (schmerzhafte, traumatische Handlungen) immer wiederholen zu müssen, sie sozusagen immer wieder zu aktualisieren (eine Art Beharrlichkeit eines neurotischen Symptoms als Wiederkehr des Verdrängten; oder aber noch präziser: Wiederholung von Unlusterfahrungen). Darin ist, nach Lacan, die jouissance/das Genießen zu sehen. Der Kern des Wiederholungszwangs besteht in dem unbewußten Ziel, ein „gewohntes“ und damit irgendwie orientierendes, identitätsstiftendes (wenn auch schmerzhaftes), Lebens- oder Handlungsmuster aufrechtzuerhalten. Quasi als Teil oder Ganzes einer „beruhigenden“ Identität im allgemeinen Zustand der Angst einer Welt-aus-den-Fugen. Der Motor des Zwangs besteht damit in einem Unabgegoltenen, Unerlösten aus einem Vorgang/Ereignis aus der Vergangenheit, was sich deswegen immer wieder geltend machen muss. Die alles entscheidende Frage ist hier also: was wird anhaltend verdrängt? Was ist unerlöst, was ist noch unabgegolten? Wir ahnen es: die mit der Einführung individueller Freiheit auf der subjektiven Seite intim verbundene Einsamkeit oder Angst vor ihr, die Symptom der genannten Sprengkraft ist. Freiheit ist Dynamit, die entweder zur völligen Zerstörung oder aber für einen Durchbruch ins emanzipatorisch Helle verwendet werden kann – sprengend ist sie indes allemal, und diese Sprengkraft macht eben auch Angst. Im gesellschaftlich-objektiven Zusammenhang ist es die uneingelöste oder stets scheiternde Forderung nach einem die Individuen sinnhaft und human verbindenden Gesetz. Die Wunde, die noch nicht verschlossen ist, kann also in einer halluzinierten „Vertreibung aus dem Paradies“ oder in der spezifisch modernen Allein-Setzung gedeutet werden, die mit der Erfindung des Individuums im Liberalismus verbunden ist – entlassen aus allen Großzusammenhängen, wie Kirche, Nation, Familie oder Stand, deren Logik eher dem Abbild des Dividuums folgte.

Mit Rückgriff auf Kierkegaards Schrift „Die Wiederholung“ können wir also sagen, dass die (sich) wiederholenden Kämpfe um verschiedene Begriffe von Freiheit im Modus einer spezifisch modernen Erkenntnistheorie agieren, die sich rund um diese Individualität aufspannt. Wiederholung im Kierkegaard’schen Sinne ist demgemäß sinnstiftendes „Erinnern in vorwärtiger Richtung“ und ist der Versuch dem Problem der Freiheit für das Individuum nachzugehen. Die Zielrichtung des Erinnerns besteht in der Freiheit die „in vorwärtiger Richtung“ zu suchen ist, nicht etwa nur erinnernd rückwärts. Da das konkrete Leben des Individuums in der beständigen Notwendigkeit des Werdens steht und ebenso andauernd im täglichen Lebensvollzug mit der (Wahl-)Freiheit des sich-entscheiden-müssens konfrontiert ist, braucht es eine Art Identität oder Ich-Konsistenz, die nun, so Kiergegaard, über die Wiederholung entsteht. Im Kern ist es eine Wiederholung der Selbstwahl.  Sich selbst zu akzeptieren wird auf diese Weise zum Mut, sich selbst (in der Wiederholung) immer wieder zu wählen. Dieses existentialistische Motiv der Selbstwahl ist deswegen nicht narzisstisch, sondern ethisch, weil der Narzisst nicht wiederholt, sondern sich lediglich – nach hinten – melancholisch erinnert und der – sagen wir jetzt: liberale - Existentialist diese unendliche Reflexionsspirale verläßt und ins konkrete Leben der Wiederholung eintaucht. Ontologisch bzw. theorielogisch formuliert, führt der Liberalismus und die Aufklärungsphilosophie bekanntlich mit  der begrifflichen Vermitteltheit, die er „erfunden hat“, eine Lücke (einen Schnitt) ein, die niemals endgültig/essentiell abschließbar sein wird. Das setzt die geschichtliche Bewegung (der Freiheit – welcher Freiheit?) in Gang, die niemals ans Ende kommen wird. Das heißt, der Liberalismus führt das Unabgegoltene überhaupt erst ein, und zwar als ontologisch nicht hintergehbaren Horizont – ein geglücktes Abgegoltenes wird es also nicht geben. Auf der politischen Ebene verspricht der Liberalismus individuelle Freiheit und hat es bis heute nicht geschafft, daraus eine tatsächliche, institutionalisierte individuelle Freiheit als gesellschaftliche Freiheit zu machen. Daher ja auch die Notwendigkeit eines sozialistischen Liberalismus. Auch das setzt die geschichtliche Bewegung der Freiheit immer wieder von neuem in Gang.

 

Freiheit zwischen Marktradikalismus, Populismus und  Dschihadismus

 

Populistische Ideologie zehrt vom urliberalen Motiv der Establishmentkritik („die da oben!“). Die meistens von Rechten oder Marktradikalen, wie z.B. Donald Trump oder der AfD, eingenommene Position greift zurück auf die geschichtlich linke Geste der Herrschafts- und Machtkritik. Diese wiederum geht auf die bürgerlichen Revolutionen gegen den feudal-absolutistischen Staat zurück. Das ist einer der analytischen Kernpunkte an den emanzipatorische Politiktheorie anknüpfen muss. Hier scheint ein „schlechter“ Wiederholungszwang am Werk, der etwas kritisieren will, was institutionell und unbewusst verdrängt längst verwirklicht ist. Politik scheint längst perfekter Ausdruck des Ressentiments der Mehrheit. Vielleicht ist das ja die Definition von rechter oder reaktionärer Politik im Unterschied zu emanzipatorischer Politik: die faktisch fruchtlose und blinde irrationale  Wiederholung einer bürgerlich-liberalen Protest- und Revolutionsgeste vor der heute auch linke Bewegungen nicht gefeit sind. Und doch muss dialektischerweise darin gesehen werden, dass es offensichtlich auch heute noch etwas Unabgegoltenes am liberal-revolutionären Versprechen von damals gibt, das diesen Wiederholungszwang, den Hegel „schlechte Unendlichkeit“ nennt, immer wieder in Gang setzt und hält. Auf dem Feld konkreter Politik käme es also darauf an, eine andere - erlöste und emanzipatorische - Wiederholung als Alternative zu entwickeln, da die Epoche des Liberalismus nicht ohne Wiederholung (im Guten wie im Schlechten) zu haben ist. Der Kern, um den es hier geht, besteht - noch einmal anders formuliert – in der Verwechslung von Libertarismus mit Liberalismus. Wutbürger*innen leiden an der hegemonialen, positivistischen, liberalen Ideologie der Verdinglichung, nicht aber am Liberalismus selber. Ein emanzipatorischer Ausweg aus dem Wiederholungszwang wäre daher eine erlöste Wiederholung, die in der zukünftigen Transformation vom libertären Neo-Liberalismus zum demokratisch, sozialistischen Liberalismus bestünde; eine Transformation, die ein reaktionäres leidenschaftliches Verhaftetsein an längst überholte Gesten überflüssig macht. Wir haben gesehen, dass Populismus lediglich ein anderer Name für den liberalen Wiederholungszwang darstellt. Er lebt von der Denunziation des Establishments und verklärt zugleich das „einfache Volk“. Die andere Operation, die in der Gegenwart Motive des geschichtlichen Liberalismus gänzlich unerlöst wiederholt, ist im Dschihadismus[19] zu sehen. Spiegelbildlich zum Populismus denunziert der Dschihadismus „die da unten“ und negiert das Individuum als Inhaber von Rechten. Er setzt dagegen eher auf ein krudes "Oben": den Gottesstaat. Populismus und Dschihadismus sind somit zwei spiegelbildlich verkehrte Lösungsversuche für dasselbe Problem, das uns der Liberalismus (in seiner neoliberal zugespitzten Form) immer noch stellt – das undialektisch, unvermittelte Auseinandergerissensein von Individuum und Gesellschaft, genauer: der inneren und äußeren Spaltung der Individuen. Man könnte auch formulieren: der Preis der Freiheit ist die Freiheit selbst – denn sie „kostet“ etwas.

Mit Hilfe einer Kritik des herrschenden Libertarismus und seiner Ideologie der Verdinglichung, seines Objektivierungsfetisch, können strategisch die aktuellen, reaktionären Tendenzen unserer Meinung nach angemessener erfaßt und kritisiert werden. Das „libertäre Problem“ ist also keines, das nur „die Wirtschaft“ oder die sie stützende Politik oder die Presse oder „die Intellektuellen“ betrifft, sondern ein tief in der Gesellschaft verankertes Problem, dessen Herkunft geschichtlich bzw. ideengeschichtlich gut erklärt werden kann.  Dem neoliberalen oder libertären Diskursen geht es mit ihrer Ethik des (Hyper-)Individualismus vor allem um das, was wir oben mit individualistischer Freiheit bezeichnet hatten – auch in seiner dialektisch verkehrten Form des Kollektivindividuums -, also fast nie um Gesellschaftlichkeit. Und wenn doch einmal vom Gemeinwohl die Rede ist, kann dies immer nur vom Individuum, oder von der bloßen, empirischen Summe der Individuen, der Masse oder des Volkes aus gedacht werden, nie aber umgekehrt, also die Individuen von der Gesellschaft her. Kurz: ein Libertärer begreift die gesetzesförmige Vermittlung der Individuen nicht, die ihren Ausdruck in konkreten Institutionen finden muss, um real wirksam sein zu können. Daher verbindet die vielen Neoliberalismen auch ein ausgeprägter Hass auf den (liberalen) Rechtsstaat, wie bei Rechtspopulisten und Dschihadistinnen zu sehen ist.


 

Der Siegeszug positivistischer Ideologien

 

Es ist ziemlich gefährlich wenn große Gruppen von Menschen irrational werden. Denn wenn die Menschen irrational werden - wie soll man sie dann überzeugen!

Deutschlandfunk, Trailer zu Wissenschaft im Brennpunkt, März 2016.

 

Das Verschwinden von Politik

 

Was die politische Wissenschaft bis in die 90er Jahre des letzten Jahrtausends noch als statistisch uneindeutiges Signal bezeichnete, manifestierte sich bis Mitte der 00er Jahre zu einem handfesten, politischen Klimasignal. Peter Mair lieferte in seinem Essay in NLR in 2006 zum ersten Mal den Beweis, dass es sich hier um einen mittlerweile statistisch signifikanten Trend handelte, und brachte dessen Quintessenz folgendermaßen auf den Punkt: Es ist nunmehr evident, dass gerade in den ältesten Demokratien das politische Prinzip Demokratie einerseits zu einem Quasi-Naturprinzip geworden ist, andererseits die Beteiligung am politisch-parlamentarischen Prozess und vor allem die Anzahl von Parteimitgliedschaften vehement rückläufig ist. Dies gilt heute mit kaum noch, oder nur sehr wenigen, regionalen bis nationalen, gar kulturellen Ausnahmen und allen Gesellschaften mit etablierten demokratischen Regierungsprinzipien[20].

Was für Peter Mair Anfang der 00er Jahre noch ein Trend war, den es im Chaos der widersprüchlichsten (gerade im über-nationalem Vergleich) politischen Trends wie eine Stecknadel im Heuhaufen zu suchen galt, erscheint uns heute, kaum 10 Jahre später, diese Feststellung, einer allgemeinen "Politikverdrossenheit" auch gänzlich ohne empirischen Beweise, als evident.

In einem Essay von Mike Beggs, erschienen Ende 2015 im Jacobin, der sich zu großen Teilen auf Peter Mairs 2006er Essay und auf das von Francis Mulhern posthum herausgebrachte Buch „Ruling the void“ (das wiederum auf Arbeiten Peter Mairs zum 2006er NLR Essay beruhte) bezieht, werden Peter Mairs Ergebnisse zu den statistischen Entwicklungen bei Wahlbeteiligungen, Parteienmitgliedschaft, Wechselwählerverhalten, im Lichte heutiger Entwicklungen betrachtet[21]. Und heute sind wir natürlich ganz und gar nicht mehr überrascht, wie es Peter Mair 2006 tatsächlich noch war, mit eindeutigen, konsistenten, homogenen, über-nationalen und transkontinental übereinstimmenden politischen Entwicklungen konfrontiert zu sein, bei denen sich gerade die Bürger derjenigen Demokratien, die aufgrund ihrer verfassten Regierungsprinzipien am meisten auf aktives, politisches Bürger-Engagement angewiesen sind, dass gerade in diesen Demokratien ein vehement rückläufiger Trend an genau solcher politischer Beteiligung festzustellen ist. Dieser Rückgang drückt sich in dem in allen Demokratien seit Mitte der 90er Jahre feststellbaren Trend eines starken Rückgangs der Wahlbeteiligung und der aktiven wie passiven Mitgliedschaft in politischen Parteien aus. Und damit ist in all diesen Demokratien ein signifikanter Trend hin zu einer wachsenden Indifferenz gegenüber so etwas wie einer politisch-ethischen Heimat, und damit einhergehend eine starke Zunahme von Wechselwählern, die sich im letzten Moment ad hoc entscheiden was sie wählen sollen, und schließlich also ein zunehmend vom Wutbürgerbauchgefühl gesteuertes Wahlresultat zu verzeichnen.

Sowohl Peter Mair 2006 als auch Mike Beggs legen, auf Grundlage von Peter Mairs Untersuchungen der Entwicklungen zu Anfang der 00er Jahre, aber gerade auch angesichts der heute aktuellen Entwicklungen, den nur scheinbar offensichtlichen Kern bloß, der den nun offensichtlichen Trends der politischen Indifferenz zugrundet liegt, und der jedoch in den allgemeinen Diskursen zum Thema und sicher in den Diskursen der kritischen Linken bis heute kaum eine Rolle spielt: der Rückgang der Parteienzugehörigkeit. Während bisher beim Thema Politikverdrossenheit vor allem die fehlende Bürgernähe der Politik und der Institutionen ganz allgemein beklagt wurde, und dies vor allem als ein Problem „der Politik“ angesehen wurde, kommen Peter Mair und Mike Beggs hier auf Grundlage von Mairs Untersuchungen zu ganz anderen Ergebnissen. Demokratien in denen Aspekte eines demokratischen Sozialismus (zumeist durch sozialdemokratische Parteien) noch bis vor 30 Jahren eine durchaus signifikante Rolle spielten, waren auch Demokratien in denen die Parteienzugehörigkeit (meist zur sozialdemokratischen Partei), ob nun in paradigmatisch kapitalistischen oder real-sozialistischen Systemen, eine große Rolle spielte. Denn die Zugehörigkeit zu einer Partei, zumal zu einer, die sich dem demokratischen Sozialismus auf die ein oder andere Weise verbunden fühlt(e), ist und war die ideale Verbindung von Populismus und institutioneller (parlamentarischer), politischer Vernunftrationalität, die auch in einer „gelungenen“ Verbindung von Straße und Parlament bestand, die die Sozialdemokratie im Kaiserreich, der Weimarer Republik und nach 1945 repräsentierte: die geschichtliche Sozialdemokratie war gewissermaßen die Form, in der die dialektischen Widersprüche zwischen Arbeiterbewegungsrationalität und parlamentarischer Vernunft produktiv (im dialektischen Miteinander-Gegeneinander) agieren konnten[22]. Und Demokratien, die langfristig, so Mair, ein liberales, emanzipiertes Menschenbild als Teil ihrer verfassten Grundlage betrachten, brauchten und brauchen notwendig die dialektische Verbindung von beidem: Populismus und Vermittlung (also politische Institutionen).

Was Peter Mair, aber auch den Analysen Mike Beggs bis heute fehlt, um den Kern einer heute evidenten Entwicklung zu verstehen, war die Erklärung eines Paradox, das sich aus Peter Mairs Untersuchungen, nicht nur zur Entwicklung des politischen Bewusstseins der Massen, sondern zu dem der politischen und institutionellen Eliten selber ergab; also gerade jener Instanzen, die meist für die Politikverdrossenheit verantwortlich gemacht werden. Dabei ergab sich das für Mair noch überaschende Ergebnis, dass eben nicht nur das Volk sondern auch die politischen Eliten selber, von Tony Blair bis Donald Trump, lange schon auf Distanz zu ihren eigenen, institutionellen Grundlagen, zu ihrem eigenen, institutionellen So-seins als Politiker, als Verantwortlicher, gegangen sind. Die Repräsentanten der politischen Institutionen, so das überraschende Ergebnis, propagieren heute eine vehemente Verdrossenheit an sich selber.

Wie kommt es, so Peter Mair, dass in der politischen Praxis eine klare Tendenz innerhalb aller politischen Eliten etablierter Demokratien besteht dem Beispiel des eigenen Volkes zu folgen und sich von sich selber abzuwenden?[23]

Just as voters retreat to their own particularized spheres of interest, so too have political and party leaders withdrawn into the closed worlds of their governing institutions. Both sides are cutting loose (Peter Mair, NLR 42).

 

Vom Wutbürger zum Führer

 

Es muss also verwundern, dass heute in den fortgeschrittenen Demokratien nicht nur das Volk „die Politik“ hasst, sondern auch die Politiker sich am liebsten selbst von dieser distanzieren. So ist Tony Blair in die Politik gekommen nur um zu verkünden „I was never really into politics. I don’t feel myself a politician even now!“[24]. Regierungen die nicht regieren, Politiker, die  keine Politik machen, sondern  „entscheiden“, sind heute nicht nur der feuchte Traum einer Tea-Party inspirierten Minderheit oder neoliberaler Think-tanks („society is now sufficiently well organized through self-organizing networks that any attempts on the part of the government to intervene will be ineffective and perhaps counter-productive, Guy Peters, Governance: a garbage can perspective, 2002.) und Steve Jobs-Type Tech-Anarchos, sondern das Bedürfnis „dass endlich das richtige gemacht werden muss“, und nicht mehr diskutiert und keine Kompromisse mehr geschlossen werden sollen, diese Vorstellung ist längst fest im Bewusstsein der Masse der Bevölkerung - und damit aber eben auch bei den sogenannten ''Eliten'' - verankert. Bis schließlich auch die Politik ganz demokratisch (wenn man Demokratie im vulgären Sinne einer Herrschaft der empirischen Mehrheit definiert) alles tut um möglichst wenig Politik zu machen, oder wenigstens genau diesen Eindruck zu vermitteln.

Der Politiker Donald Trump erklärt heute also seinen Gläubigen und seinen gerne hysterischen Anhängern, dass er als verantwortlicher Politiker vor allem nur „entscheiden“ wird, und er dafür möglichst viele der institutionellen Beschränkungen eines Präsidenten abschaffen oder umgehen wird (muss). Was sich Peter Mair 2006 wahrscheinlich in seinen schlimmsten Alpträumen noch nicht vorstellen konnte ist schon jetzt in den Bereich des Möglichen gerückt. In Zukunft werden wir wohl zunehmend von Experten und NGOs, also entweder von autoritären Technokraten, oder, was noch wahrscheinlicher ist, von Demagogen und Populisten regiert werden, die das technokratische Entscheidermackertum der Experten und der NGOs perfekt zu simulieren wissen, die aber vor allem bereit sind auch gänzlich ohne jegliche politische Vernunft und nur im Sinne des hyper-individualistischen, oder hyper-positivistischen Interesses zu entscheiden. Ganz einfach weil sie (meinen zu) „wissen wie es ist“. Und vor allem wie etwas zu sein hat. Die Demokratie transformiert sich so von einer Parteiendemokratie, die in den Parteien Populismus und Institutionalismus miteinander in ein produktives Verhältnis gebracht hatten, zu einer „Zuschauer-Demokratie“ (Peter Mair, NLR 42). Die Zuschauer-Demokratie stellt den vorläufigen Endpunkt einer Entwicklung dar, bei der sich in der Epoche des Liberalismus die Ideologie des Einzelsubjekts als Naturzustand, also die Ideologie des Libertarismus und des normativen Positivismus, und damit die Ideologie des „wahr“ und „falsch“ der Verdinglichung, endgültig durchgesetzt hat.

Die heutigen, libertären, hyper-positivistischen „Wissens-Demokratien“, die ihre im liberal-sozialen Sinne geschichtliche Voraussetzung aus sich ausgeschieden haben, haben sich also von einer Politik der Anerkennung der produktiven Dialektik zweier Pole, zwischen dem Einzelnem und dem Ganzen, Individuum und Gesellschaft, zwischen Form und Materie, verabschiedet. Sie sehen sich nunmehr selbst als zerrissen und jeweils fremd diesen beiden Polen gegenüberstehenden. Die einzige Hoffnung auf eine alternative Zukunft eines dialektischen, vernünftigen Denkens, auf den demokratischen Sozialismus, von der wir oben sprachen, könnte sich allenfalls aus der Tatsache nähern, dass es die Pole noch gibt, auch wenn sie voneinander getrennt sind, und dass es nun gelte, sie politisch wieder in eine lebendige, fruchtbare, ent-entfremdende Wechselwirkung zu bringen. Dafür ist es noch nicht zu spät da sich alle dieser Sphären, die entfremdeten Sphäre des Libertarismus und des normativen Positivismus, wie die dialektisch, integrative Sphäre des demokratischen Sozialismus beide innerhalb der einen Epoche des Liberalismus bewegen.

 



[1] Siehe zum Beispiel, R. Lang, Fehler und Ironie, ifkt.org.

[2] Menke, Kritik der Rechte, Suhrkamp, 2015.

[3] Menke weist mit Rückgriff auf Foucault nach, dass diese moderne Setzung des bürgerlichen Eigenwillens als DAS Strukturprinzip moderner Ordnungen zugleich die „Apropriation des Sozialen“, die Privatisierung des Politischen, bedeutet. Das spezifisch Ideologische daran ist, dass sich das Wissens-Subjekt nicht darüber aufgeklärt hat, dass es sich bei dem Eigenwillen um keine Naturtatsache handelt, sondern vom modernen Recht erst gesetzt wird und damit „Künstlich“ oder eine Kulturtatsache darstellt.

 

[4] Zur Theorie der Verdinglichung siehe zum Beispiel, R. Lang, Über Entfremdung, ifkt.org. Die Unmöglichkeit einer teleologischen Selbstsetzung macht jede Art dieser Setzung zum Glaubensakt. Die Mathematik hat sich die Unmöglichkeit ihrer logischen Selbstsetzung mit Gödel schließlich selbst bewiesen. So kann auch das Recht sich nicht selbst setzen ohne eine äußere Axiomatische Geste der Setzung an der paulinisch, also im Glauben, festgehalten werden muss. Das Subjekt kann den positivistisch als "natürlich" gesetzten Eigenwillen also nur glauben, nicht aber selbst „beweisen“, er ist „einfach da“, schlicht gesetzt, und weil er da, gesetzt und außerrechtlich legalisiert ist, muss das Subjekt sich (selbst) glauben. Dieser Wille/Wissen/Glauben-Komplex ist freilich dem Kant’schen Vernunftglauben diametral entgegen gesetzt.

[5] Dieses Gefühl, dass hier "etwas nicht ganz stimmt", hatte in Zeiten der Krise 2008 selbst schon Sarkozy. Dieser hatte 2009 bei Joseph Stieglitz, dem kritischen Ökonom und Nobelpreisträger, eine Studie in Auftrag gegeben die klären sollte, ob es nicht noch wesentlich bessere, sprich "wahrere" Wege gibt das Wohlstandswachstum zu vermessen, als die klassischen, rein ökonomischen Kriterien des Bruttosozialprodukts. Hintergrund war Sarkozys ganz richtige Angst, die er in der Einleitung zum 2009 veröffentlichten Bericht auch so ausgedrückt hatte, dass sich langsam bei den Menschen das Gefühl breit macht dass das ganze geredet vom ständigen ökonomischen Wachstum eine reine Verschwörung sei, da sie selbst davon subjektiv (oder objektiv) nichts merkten. und, so Sarkozys vollkommen rationale Schlussfolgerung, darüber das Vertrauen in die Statistiken, und damit die einzige "Wahrheit" die der modernen Gesellschaft bleibt, sukzessive verlören. Dies ist offensichtlich eine Gefahr für die Demokratie. Das hat Sarkozy ganz richtig erkannt. Das Problem ist nun nur dass weder Stiglitz noch Sarkozy aus der Ideologie der Verdinglichung heraustreten können. Anstatt zum Ergebnis zu kommen dass das rein verdinglichte, statistische Argument ein Fundamentalwiderspruch in sich selbst darstellt und deswegen notwendig immer und überall zu Widersprüchen führen muss, die dann notwendig auch dem Letzten, allerdings meist nur ganz diffus und gänzlich unreflektiert, auffallen, auf diesen Gedanken kommen auch diese Gläubigen nicht. Statt dessen wird das Problem mit mehr Statistik und mehr Datenerhebung gelöst. Neben den materiellen Grundlagen werden in dem Bericht nur auch "subjektive" Kriterien nach Maßgabe des nachhaltigen Bruttosozialprodukts, des ..., gestellt, wie "sind sie mit ihrem Leben zufrieden", "sind sie glücklich" "glauben sie dass es ihnen in Zukunft besser gehen wird", etc. Die pathologischen Symptome der Verdinglichung sollen mit mehr "Objektivierung" ausgetrieben werden. Der zutiefst religiöse und an seiner Religiosität leidende Besessene wird mit dem Kruzifix so lange gefoltert bis er "geheilt" ist.

[6] 1818 beschreibt Benjamin Constant das Programm der Liberalen Party, zit. nach Domenico Losurdo, Liberalism, S. 241, Verso 2011.

[7] Wie es zum Beispiel Domenico Losurdo, gänzlich undialektisch und rein positivistisch ideengeschichtlich, in Liberalism, a counter-history, tut. Verso, 2011.

[8] Rüdiger Lang, "Über diese Welt-aus-den-Fugen", ifkt.org, 2016.

[9] Volker Koehnen, "Gesellschaftliche Freiheit", ifkt.org, 2016.

[10] Vgl. Menke, Recht der Rechte, Suhrkamp.

[11] Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §142 - 157, Werke 7, Suhrkamp.

[12] Siehe Menke, Recht der Rechte, Suhrkamp, 2015.

[13] Und dann auch für ihre Verdinglichung.

[14] Es gilt hier allerding einen Einschränkung zu machen auf die Christoph Menke hingewiesen hat, auf die wir noch zurückkommen werden, und die die heutige, schließlich hegemoniale Stellung des Kapitalismus innerhalb des Liberalismus begründet. Siehe Menke, Recht der Rechte.

[15] Vgl. Menke, Recht der Rechte, Suhrkamp, 2015.

[16] ebd.

[17] Menke, Recht der Rechte, Suhrkamp, 2015.

[18] Max Weber, Die protestantische Ethik und der "Geist" des Kapitalismus, Beltz.

[19] Der Dschihadismus ist mitnichten ein „vormodernes“ Phänomen, wie im Mainstream oft gesagt, weil die „arabische Welt keine Aufklärung mit- und durchgemacht“ habe. Im Gegenteil, er muss als ein sehr modernes – oder liberales – Phänomen begriffen werden.

[20] Peter Mair, After Democracy?, NLR 42, Dec 2006.

[21] Mike Beggs, The void stares back, Jacobin, Issue 20, Winter 2016. Diese Ausgabe des Jacobin ist dem Thema “Up from Liberalism” und dem Verschwinden von Politik gewidnet und eröffnet mit einem längeren Zitat aus dem Erfurter Programm der SPD von 1891.

[22] Diese Verbindung wird mit dem Begriff „Popularismus“ auf den Punkt gebracht, vgl. Koehnen, Volker, „Gesellschaftliche Freiheit“, ifkt.org 2016

[23] Peter Mair, After democracy?, NLR 42, Dec 2006.

[24] Eine ähnliche nicht-politische, ja apolitische Haltung des Politikers zeigt aktuell der AfD-Rassist Björn Höcke, der immer wieder betont, dass er eigentlich nicht in die Politik wollte, die „Umstände“ ihn aber „zum Dienst am Vaterland“ zwängen. Dieses apolitische Selbstverständnis macht Höcke zum „Führer im Wartestand“: bekanntlich sah auch Hitler sich selbst nicht als Politiker, sondern als Werkzeug oder Vollstrecker einer esoterischen „Vorsehung“.