Ehe nur für Tiere?
Warum Konservative ihr ''christliches Abendland'' verraten

Volker Koehnen

 Juni 2015

Mit der wütenden Ablehnung der sogenannten ''Homo-Ehe'' durch die Konservativen - von NPD, AfD, ''Bündnis für Familie'', PEGIDA bis hin zu CDU/CSU und katholischer Kirche - scheint ein weiteres Feld im seit einigen Jahren tobenden Kulturkampf eröffnet. Der schlichten Forderung nach einer rechtlich vollständigen Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften mit der Ehe steht das konservativ-reaktionäre Hauptargument gegenüber, die Ehe als verfassungsrechtlich institutionalisierte Verbindung von Mann und Frau sei der rechtlich geschützte und privilegierte Ort der ''Fruchtbarkeit'' und ''Fortpflanzung''. Gewöhnlich wird darauf von linker Seite (richtigerweise) dagegen gehalten, dass das doch Unsinn sei und man für die Ehe das Kriterium der ''gemeinsamen Verantwortungsübernahme'' (egal in welcher ''Geschlechterzusammensetzung'') zugrunde zu legen habe, wogegen Konservative doch eigentlich nichts haben könnten.

Es wird dabei aber die die konstitutive Widersprüchlichkeit des konservativen ''Fortpflanzungs''-Arguments übersehen: die Pointe ist doch, dass Konservative nicht nur homosexuelle Paare herabwürdigen, sondern dass damit zugleich Männer und Frauen beziehungsweise das Institut der heterosexuellen Ehe diskriminiert werden, das sie doch eigentlich zu verteidigen vorgeben. Dies deshalb, weil das konservative Kriterium der ''Fortpflanzung'' ein vorzivilisatorisches, nicht-kulturelles und die Werte des ''Abendlands'' gerade ad absurdum führendes, also ein biologisches Argument, ist: die geschlechtliche Paarung zum Zweck der Fortpflanzung findet per definitionem nur in der Tierwelt statt, ein Fortpflanzungsakt, der in der Natur rein biologisch und instinktgesteuert vorkommt. Die zum Heiligtum (v)erklärte Ehe zwischen Mann und Frau mutiert in der konservativen Argumentation also zu einer rechtlich geschützten Verbindung zwischen ''Tieren'' zu deren instinkthaften Reproduktion; hier wird die Kultur im Namen der Natur zerstört - soviel Diskriminierung von Heterosexualität durch Heterosexuelle war nie. In dieser Perspektive vertauschen sich dann die Positionen: auf der Seite der Verteidigung von zivilisatorischem Fortschritt und des Abendlandes stehen die homosexuellen Paare; im Kampf um die ''Homo-Ehe'' verteidigen Homosexuelle die aufklärerisch-liberalen Prinzipien (rechtliche Gleichheit) und kulturellen Errungenschaften (Verantwortungsgemeinschaft), während Konservative die vormodernen Naturimperative (Fortpflanzungszweck der Ehe) propagierenden.

Den unsichtbaren, verleugneten Bezugspunkt in der Debatte bilden natürlich der Sex und das Verhältnis zur Lust, wie er exemplarisch in der Sexualmoral der katholischen Kirche zum Ausdruck kommt, und in ihr (psychoanalytisch formuliert): die massive Angst des Mannes vor der Frau als Wiedergängerin der Mutter, die sich in angstbesetzter Lust- und Frauenfeindlichkeit ausdrückt. Aber es reicht nicht aus zu betonen, die kirchliche Position zum Sex sei einfach ''von gestern'', schlicht unmodern oder diskriminierend. Ihr (Denk-)Fehler beruht auf einer Verwechslung: Fortpflanzung der Tiere in der Natur ist mechanisch, automatisiert und unvermittelt, sie gehört dem ''Reich der Notwendigkeit'' an. Der Sex hingegen ist eine vermittelte Kulturpraktik des Menschen im ''Reich der Freiheit''. Während die eine zweckgebunden ist, erscheint der andere als freie Kreativität. In geschichtlich-evolutionärer Perspektive lässt sich dialektisch festhalten, dass der (kulturelle) Sex die Fortsetzung der (natürlichen) Fortpflanzung ''mit anderen Mitteln'', mit zusätzlichen Dimensionen angereichert darstellt; der menschliche Sex hat zwar den tierischen Instinkt in sich aufgehoben, aber er ist eben zum kulturell-menschlichen Sex geworden, der an keine vorgegebenen Zwecke gebunden ist. Und er ist im Wesentlichen eine sublimierte Kulturpraxis, die die automatische, blinde und rein reiz-/reaktiongesteuerte Instinktbefriedigung der Natur hinter sich gelassen hat. Das ist das Politische am Sex: er operiert im Feld demokratischer Übereinkunft; er kann nicht außerweltlichen Wesen unterliegen, wie Gott oder Natur, die uns befehlen könnten, was zu tun und zu unterlassen ist.

Bei dieser eher zuspitzenden Gegenüberstellung von ''Natur-Kultur'' muss aber natürlich klar sein, dass diese Dichotomie ''an sich'' ebenso wenig existiert wie eine Natur ''an sich''. Das bedeutet, dass jede Geste eines ''Zurück zur Natur!'' oder des Beharrens auf eine ''Natürlichkeit'' des einen oder anderen Sachverhalts (wie zum Beispiel das Dispositiv ''Ehe=Fortpflanzung= Mann/Frau'') entfremdetes Bewußtsein darstellt; Hegel hätte es das ''Bewußtsein der zweiten Natur'' genannt: ein Bewußtsein, das sich einbildet, dass (ein) Begriff und (sein) Gegenstand ineinanderfällt oder dass ein Begriff einem Gegenstand rein äußerlich wäre, hier: dass die Natur ''an sich'' existiere, und ein Bewußtsein, das zugleich verleugnet, dass die Natur, von der es träumt, eine begrifflich-vermittelte ist. Dementsprechend kann ein politisches Bewußtsein, das auf Grundlage der liberal-rechtlichen Gleichheit oder Gleichstellung operiert, als hegelianisches Selbstbewußtsein bezeichnet werden, weil es eben Begriff und Gegenstand differenziert beziehungsweise sich darüber aufgeklärt hat, dass ein Gegenstand nur über den Begriff ''existiert'' und es also maßgeblich um abstrakt-konkretes Jonglieren mit Begriffen geht, will man überhaupt irgend etwas von der Realität verstehen.

Die rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit der Ehe müsste in liberalen Rechtsstaaten nicht nur eine Selbstverständlichkeit sein; sie würde uns Menschen zugleich daran erinnern, dass wir Erben der Aufklärung und zivilisatorischer Kultur sind - und nicht ''Tiere'', die einer Naturnotwendigkeit zu folgen haben. Insofern müssten die Konservativen wieder in die Offensive kommen, indem sie sich selbst ernst nehmen und ihr Argument radikalisieren: sie sollten die verfassungsrechtlich geschützte Ehe ausschließlich Elefanten, Zebras, Katzen und Rotkehlchen, kurz: allen Tieren, vorbehalten; dann wären sie in ihrem Fortpflanzungsimperativ ganz bei sich selbst.